Erinnerung Des Herzens
viel vorsichtiger geworden und habe immer darauf geachtet, die Tür zu verschließen.«
Seine Stimme blieb gelassen. »Bist du ganz sicher?«
Sie wollte schon antworten, dann setzte sie sich zurück und erwiderte mit einer Gegenfrage: »Willst du, dass ich lüge, Lincoln?«
»Ich will, dass du sehr genau nachdenkst. Eine Tür aufschließen, das ist eine Gewohnheit, eine automatische Bewegung, von der man einfach annehmen kann, dass man sie ausgeführt hätte. Die Tatsache, dass du der Polizei erzählt hast, du hättest die Tür aufgeschlossen, ist zusammen mit der Tatsache, dass alle anderen Türen von innen verschlossen waren, als die Polizei ankam, sehr belastend für dich. Bei der Leiche wurden keine Schlüssel gefunden, auch sonst nirgends in der Umgebung des Hauses. Deshalb muss die Tür entweder nicht verschlossen gewesen sein, als Eve kam, oder irgendjemand anderes, der einen Schlüssel besaß, ließ sie ins Haus.«
»Oder irgendjemand hat Eve den Schlüssel weggenommen, nachdem er sie getötet hatte«, sagte Paul von der Treppe her.
Lincoln blickte hoch. Er verzog ganz leicht den Mund, woran man merkte, dass die Störung ihn irritierte. »Das ist natürlich ein Weg, den wir versuchen können, weiter zu verfolgen. Da aber die Beweise auf ein Verbrechen deuten, das aus Leidenschaft und spontan verübt wurde, wird es schwierig sein, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass irgendjemand mit Eve zusammen im Haus war, sie getötet hat und dann noch die Geistesgegenwart aufbrachte, den Schlüssel mitzunehmen und die Tür abzuschließen.«
»Das ist schließlich Ihr Job, oder?« Paul ging zur Bar hinüber. Er strich mit den Fingern über die Bourbonflasche, dann zog er sie zurück und griff nach einem Club-Soda. Alkohol würde seine innere Erregung nicht gerade dämpfen.
»Es ist mein Job, Julia die bestmögliche Verteidigung zu garantieren.«
»Es tut mir leid, dass ich es dir nicht leichter machen kann, Lincoln, aber ich habe die Tür mit meinem eigenen Schlüssel geöffnet.«
Er schürzte die Lippen und überflog seine Notizen. »Du hast nicht erwähnt, dass du die Mordwaffe berührt hast, das Schüreisen.«
»Weil ich nicht mehr weiß, ob ich es getan habe oder nicht.« Sie fühlte sich plötzlich erschöpft und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich muss es wohl getan haben, sonst wären meine Fingerabdrücke nicht darauf.«
»Das wäre schon möglich, wenn du in den letzten ein, zwei Wochen Feuer im Kamin gemacht hättest.«
»Habe ich nicht. Die Nächte waren angenehm warm.«
»Das Schüreisen wurde in einiger Entfernung von der Leiche gefunden.« Er zog einen Aktenordner aus der Tasche. »Bist du bereit, dir ein paar Fotos anzusehen?«
Sie wusste, was er meinte, und wusste nicht, was sie ihm antworten sollte. Dann nahm sie sich zusammen und griff nach den Bildern. Da lag Eve auf dem Teppich, ihr Gesicht war immer noch von atemberaubender Schönheit. Und da war das Blut.
»Aus diesem Blickwinkel sieht man, dass das Schüreisen hier drüben liegt«, sagte Lincoln. Er beugte sich vor und zeigte ihr die Stelle mit dem Finger. »Es sieht so aus, als ob irgendjemand es dort hingeworfen hätte oder es auch einfach nur fallen ließ, als er von der Leiche wegging.«
»So habe ich sie gefunden«, flüsterte Julia. Ihre Stimme kam ihr gedämpft vor, weil sie ein Brausen im Kopf spürte und ihr übel geworden war. »Ich bin zu ihr gegangen, habe ihre Hand genommen, und ich glaube, ich habe ihren Namen genannt. Und dann habe ich mich mühsam wieder aufgerichtet. Ich habe das Ding hochgenommen, ihr Blut klebte daran. Und dann auch an meinen Händen. Deshalb habe ich es wieder hingeworfen. Ich musste sofort handeln. Irgendjemand anrufen.« Sie löste sich innerlich von dem schrecklichen Bild und stand schwankend auf. »Entschuldige mich, ich muss Brandon Gute Nacht sagen.«
Als sie die Treppen hinaufeilte, wandte sich Paul zu ihm um.
»Mussten Sie ihr das antun?«
»Ich fürchte ja. Und noch Schlimmeres, bevor alles vorüber ist.« Ruhig beugte Lincoln sich über eine Seite seines Schreibblocks. »Der Vertreter der Anklage ist ein sehr entschlossener, sehr fähiger Mann. Und wie alle, die in ein solches Amt gewählt worden sind, ist er ehrgeizig und sich der Bedeutung eines feierlichen Prozesses bewusst. Wir müssen plausible Alternativen bieten zu jedem noch so winzigen Indiz, dass er in den Händen hält. Außerdem müssen wir nicht nur beim Richter und bei den Geschworenen - wenn es soweit kommen
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