Erinnerung Des Herzens
genossen. Es war das Buch, das Projekt, das sie gestartet hatte, das ihr die einzelnen Abschnitte ihres Lebens wieder vor Augen führte - wie Filmszenen.
Sie schluckte ihre Tablette mit Mineralwasser hinunter und rieb sich die Stelle in der Mitte der Stirn, wo der Schmerz sich heute wie eine geballte Faust konzentriert hatte. Sie hatte noch Zeit, genügend Zeit. Sie würde sie nutzen. Sie schloss einen Augenblick die Augen und wartete darauf, dass das Medikament seine Wirkung tag und den ärgsten Schmerz besänftigte.
Julia ... Der Gedanke an die andere Frau beruhigte sie ebenso wie das Mittel, das sie heimlich einnahm. Julia war kompetent, integer und von schneller Auffassungsgabe - und mitfühlend. Eve war sich selber nicht über ihre Gefühle hinsichtlich Julias Tränen im klaren. Empathie hatte sie nicht erwartet, nur Schockiertheit und vielleicht Ablehnung. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, dass die andere es sich so zu Herzen nehmen würde.
Das lag einzig und allein an ihrer eigenen Arroganz, dachte sie. Sie war so sicher gewesen, dass sie bestimmen konnte, wie das Buch geschrieben wurde, und allen Personen, die darin vorkamen, ihre Rollen zuweisen konnte. Aber Julia ... Julia und der Junge paßten nicht so recht in die Rollen, die Eve ihnen zugedacht hatte. Wie zum Teufel hätte sie auch voraussehen können, dass sie anfangen würde, sich Sorgen um Menschen zu machen, die sie ursprünglich nur hatte benutzen wollen?
Und dann waren diese anonymen Zettel gekommen. Eve breitete sie auf ihrem Frisiertisch aus, um sie gründlich zu studieren. Zwei für sie und zwei für Julia, bis jetzt. Alle vier in den gleichen Blockbuchstaben geschrieben, alle vier enthielten allgemein bekannte Sprichwörter, die man als Warnungen auffassen konnte, oder als Drohungen.
Die für sie bestimmten hatten sie amüsiert, sogar ermutigt. Sie war weit hinaus über die Zeit, in der irgend jemand sie hätte verletzen können. Aber die Warnungen, die Julia erhalten hatte, änderten die Sachlage. Jetzt musste Eve herausfinden, wer sie geschrieben hatte, und der Sache ein Ende machen. Sie klopfte mit den korallenrot lackierten Fingernägeln auf die Holzplatte. Es gab so viele Leute, die nicht damit einverstanden waren, dass sie ihre Geschichte erzählte. Es müßte doch interessant sein, ein guter Spaß, so viele von ihnen wie nur möglich zur gleichen Zeit unter einem Dach zusammenzubringen.
Als jemand an die Tür klopfte, ließ Eve die vier Zettel schnell in einer Schublade verschwinden. Das sollte vorläufig noch ihr Geheimnis bleiben. Ihres und Julias.
»Herein.«
»Ich bringe Ihnen Tee«, sagte Nina, als sie mit einem Tablett hereinkam. »Und ein paar Briefe zum Unterschreiben.«
»Setzen Sie den Tee einfach neben dem Bett ab. Ich habe ein paar Drehbücher bekommen, die ich heute abend durchsehen möchte.«
Nina stellte die Kanne und die Tasse aus Meißener Porzellan auf den Nachttisch. »Ich dachte, Sie würden sich nach der Miniserie erst mal eine Pause gönnen.«
»Das kommt darauf an.« Eve nahm den Federhalter in die Hand, den Nina mitgebracht hatte, und setzte ihre verschlungene Unterschrift unter die Briefe, ohne sich die Mühe zu geben, sie vorher zu lesen. »Was liegt morgen an?«
Nina öffnete ein in Leder gebundenes Buch. »Um neun Uhr haben Sie eine Verabredung bei Armando wegen der Vorbereitungen für die Dreharbeiten, um ein Uhr sind Sie mit Gloria DuBarry bei Chasen zum Lunch.«
»Ah, ja, nach der Arbeit bei Armando.« Eve grinste und öffnete eine Dose Feuchtigkeitscreme. »Ich will nicht, dass die alte Eule ein neues Fältchen bei mir entdeckt.«
»Sie sind doch sehr angetan von Miss DuBarry.«
»Natürlich. Und weil sie mich über ihren Salatteller hinweg genau in Augenschein nehmen wird, muss ich gut aussehen. Wenn zwei Frauen in einem gewissen Alter miteinander essen, Nina, geht es nicht nur darum, zu vergleichen, sondern auch darum, eine Bestätigung zu bekommen. Je besser ich aussehe, desto erleichterter wird Gloria sein. Weiter?«
»Um vier einen Drink mit Maggie in der Polo Lounge. Für acht Uhr haben Sie Mr. Flannigan zum Dinner eingeladen.«
»Die Köchin soll zum Nachtisch Zabaglione zubereiten.«
»Dafür habe ich schon gesorgt.«
»Sie sind ein Schatz, Nina.« Eve studierte ihr Gesicht im Spiegel, als sie die Creme auf den Hals, die Wangen und die Stirn auftrug. »Sagen Sie mir, wie lange dauert es, bis wir eine Party geben können?«
»Eine Party?« Nina runzelte die Stirn und
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