Erinnerung Des Herzens
immer an der Grenze zum Abnormen.«
Lächelnd stand sie auf, um sich einen neuen Drink zu machen. »Nach einer Ehe von fünf Jahren mit Tony kann mich nichts und niemand mehr schockieren. Ich hatte geglaubt, dass ich auf diesem Gebiet schon gut Bescheid wüßte ...« Sie schürzte die Lippen und füllte zwei Gläser bis an den Rand mit Champagner. »Heute muss ich zugeben, dass ich so ahnungslos wie ein Lamm in diese Ehe kam. Er war ein Kenner, vertraut mit allen Abweichungen, mit Dingen, von denen man damals nicht einmal hinter vorgehaltener Hand sprach. Oraler Sex, analer Sex, Versklavung, S und M, Voyeurismus. Tony besaß einen Schrank voll von bösartigen kleinen Spielsachen. Einige fand ich vergnüglich, andere abscheulich und einige wirklich erotisch. Dann kamen noch die Drogen hinzu.«
Eve trank ein wenig von ihrem Glas, damit es nicht überlief, wenn sie es hinübertrug, und bot Julia das andere an. Hier und jetzt kam es ihr nicht mehr so seltsam vor, vor dem Mittagessen Champagner zu trinken.
»Tony war damals seiner Zeit weit voraus, was Drogen anbelangt. Er bevorzugte Halluzinogene. Ich probierte es auch damit, aber mir bedeuteten sie nicht viel. Aber Tony konnte nie genug bekommen, weder vom Essen, Trinken noch von Drogen und Sex. Und auch nicht von Ehefrauen.«
Julia merkte wie die Erinnerung Eve zusetzte, und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie den Wunsch hatte, sie davor zu bewahren. Sie hatten ihren Kampf ausgefochten, aber sie wollte nicht, dass ihr Sieg der anderen Schmerzen verursachte. »Eve, wir müssen das alles jetzt nicht im einzelnen durchgehen.«
Eve brachte es fertig, die aufgekommene Spannung einfach abzuschütteln. Sie nahm so geschmeidig auf dem Sessel Platz wie eine Katze, die sich auf dem Teppich zusammenrollt. »Wie gehen Sie in einen Teich mit kaltem Wasser, Julia? Stückchen für Stückchen oder mit einem Kopfsprung?«
Julia musste lächeln. Es war ein gutes, verständnisvolles Lächeln. »Mit einem Kopfsprung.«
»Gut.« Eve nahm noch einen Schluck, um ihre Kehle zu glätten, bevor sie tauchte. »Der Anfang vom Ende war, dass er mich ans Bett fesselte, mit Handschellen aus Samt. Das war etwas völlig Neues für mich. Schockiert?«
Julia konnte sich nicht vorstellen, wie das sein musste, so hilflos einem anderen preisgegeben zu sein. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass eine Frau wie Eve bereit war, sich so vollständig zu unterwerfen. Trotzdem zuckte sie nur mit den Schultern. »Ich bin nicht prüde.«
»Natürlich sind Sie das. Es gehört zu den Dingen, die mir an Ihnen am besten gefallen. Hinter all den Spitzfindigkeiten schlägt das Herz einer Puritanerin. Ärgern Sie sich nicht. Es ist erfrischend.«
»Und ich dachte, es wirkt beleidigend.«
»Überhaupt nicht. Darf ich Sie warnen. Julia? Wenn eine Frau einem Mann sexuell verfallen ist, wirklich verfallen, tut sie Dinge, über die sie bei hellem Tage vor Scham vergehen möchte, selbst dann, wenn sie bereits danach lechzt, sie wieder zu tun.«
Sie lehnte sich zurück und umfaßte ihr Glas mit beiden Händen. »Aber genügend weibliches Wissen ... Nun, Sie werden selber darauf kommen. Wenn Sie Glück haben.«
Wenn ich Glück habe, dachte Julia, wird mein Leben weiterhin genauso verlaufen wie jetzt. »Sie waren dabei, mir von Anthony Kincade zu erzählen.«
»Ja, war ich. Er liebte, nun, sagen wir, Kostüme. In jener Nacht trug er einen schwarzen Lendenschurz aus Leder und eine silberne Maske. Er hatte damals schon etwas Übergewicht, worunter der Effekt ein wenig litt. Er zündete schwarze Kerzen an - und Räucherstäbchen. Dann rieb er meinen Körper mit Öl ein, bis er glänzte. Und dann machte er Sachen mit mir, wundervolle Sachen, immer nur bis kurz vor dem Punkt, an dem ich Befriedigung gefunden hätte. Und als ich völlig verrückt nach ihm war - du lieber Himmel, nach irgendeinem Mann -, stand er auf und öffnete die Tür. Er ließ einen Jungen herein.«
Eve legte eine Pause ein, um einen Schluck zu trinken. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme kühl und flach. »Er konnte nicht älter sein als sechzehn, siebzehn. Ich weiß noch, dass ich Tony beschwor, bedrohte, ja, sogar anflehte, als er anfing, dieses Kind auszuziehen. Während er ihn mit seinen geschickten, erfahrenen Händen berührte, entdeckte ich, dass ich selbst nach einer über vierjährigen Ehe mit einem Mann wie Tony immer noch unwissend war, dass es immer noch Dinge gab, die mich empörten. Als ich es nicht länger ertragen
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