Erinnerungen an die Wahrheit
Götter“, erschaut und wußte nun, daß eine große Aufgabe auf sie wartete: Sie sollte unter dem Schutz des Königshauses mit ihren besonderen Fähigkeiten das stolze Geschlecht der Trojaner vom bisherigen Götterglauben emporführen zum Wissen um den einen, höchsten Gott sowie zur Erkenntnis jener geistigen Gesetzmäßigkeiten, die dem Menschen auf seinem Weg hilfreich zur Seite stehen. Den Frauen sollte Kassandra mit ihrem Leben voranleuchten, und Troja sollte durch Kassandra zur vorbildlichen „Lichtinsel“ werden, zur „heiligen Stadt“, wie sie immer wieder in der „Ilias“ genannt wird. Doch Troja wurde dem entgegen zu einer Stadt des Unheils!
Der Raub der Helena und Kassandras Warnungen
Das Unheil nahm seinen Lauf, als Paris, der zweitälteste Sohn des Königs Priamos, in Griechenland auf Brautschau ging. In Sparta traf er auf Helena, die für ihre besondere Schönheit berühmte Gemahlin des Spartanerkönigs Menelaos. Paris ließ sich von Helena dazu verleiten, sie nach Troja zu entführen, um sie zu seiner Gemahlin zu nehmen. Das war ein Raubzug, durch den dem König Menelaos nicht nur die Gattin geraubt wurde, sondern auch seine Ehre!
Menelaos konnte seinen Bruder Agamemnon, König in Mykene und mächtigster Herrscher in Griechenland, dafür gewinnen, einen Kriegszug der griechischen Fürstentümer gegen Troja anzuführen. War es wirklich nur gekränkte Ehre der Griechen? War es nicht auch Abenteuerlust und Kriegslust? Sucht nach Ruhm und Beute? Jedenfalls rechtfertigte die Rückgewinnung der leichtfertigen, untreuen Helena sicherlich nicht einen derartigen gewaltigen Aufmarsch der griechischen Helden und Truppen und einen zehnjährigen, mörderischen Krieg, bei dem es am Ende eigentlich nur Verlierer gab.
Der Bericht des Sehers beschreibt, wie die junge und weise Seherin Kassandra als einzige das Unheil nahen sah, als ihr älterer Bruder Paris mit der schönen Helena in Troja landete. Sie prophezeite Unglück und flehte den Bruder an, doch König Menelaos seine Frau zurückzugeben – tue er es nicht, wäre Troja dem Untergang geweiht. Doch Paris verhüllte sein Haupt, zu schimpflich erschien ihm die Wiedergutmachung seines Fehlers, obwohl er schnell merkte, daß die schöne, aber leichtfertige Helena eines Krieges nicht wert war. Kassandra bat auch Helena, von sich aus wieder zurückzukehren zu Menelaos. Doch auch Helena wollte davon nichts wissen. Sollten sich doch die Helden ihretwegen schlagen! Von Paris wünschte sie sich den Kopf des berühmten Helden Achill, der sie früher einmal als „herzlos“ bezeichnet hatte.
Kassandras Unheilsprophezeiungen mochte man in Troja nicht glauben, obwohl sie schon vieles vorausgesagt hatte, was tatsächlich eingetroffen war. Die Königin Hekuba nahm Helena unter ihren „Schutz“ und nannte Kassandra eine Träumerin und Wahnsinnige, der man nicht glauben dürfe. Sie habe die Götter erzürnt, weil sie ihnen nicht im Tempel hatte dienen wollen, und sie sei nun von den Göttern mit Irrsinn geschlagen. Statt als Mutter Kassandra besonders zu schützen und zu fördern, wurde sie Kassandras größte Gegnerin und trug damit viel zum Untergang Trojas bei.
König Priamos und sein ältester Sohn Hektor wurden dagegen sehr nachdenklich bei Kassandras unheilvollen Prophezeiungen, unternahmen aber nichts Rettendes. Indessen zeigte sich der Aufmarsch der Griechen immer bedrohlicher, und so bedrängte auch Hektor seinen Bruder Paris, mit Helena nach Griechenland zurückzukehren; doch er stünde – ganz gleich, wie Paris sich entscheiden würde – fest zu seinem Bruder. König Priamos ließ schließlich die Götter bzw. das Orakel durch Priester befragen, aber, wie so oft, die Orakel-Auskunft war zweideutig: Ein Held weicht nicht von dem als richtig erkannten Weg ab! Priamos schlußfolgerte aus dem Spruch, daß man allem seinen Lauf nehmen lassen müsse und befahl die Kriegsvorbereitungen – in der verhängnisvollen Meinung, sicher zu siegen, Ansehen und Ruhm gewinnen zu können. Kassandras Warnungen verhallten ohne Wirkung.
Kassandra wurde durch ihre seherischen Fähigkeiten berühmt. Wieso aber kann man die Zukunft voraussehen – wo bleibt da der freie Wille des Menschen? Die Sehergabe bedeutet, in die geistigen und feinstofflichen Zusammenhänge Einblick zu haben, die den grobstofflichen Ereignissen vorausgehen. Denn zukünftiges Geschehen bildet sich im Geistigen und Feinstofflichen bereits weitgehend voraus, bevor es grobstofflich, also in der
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