Erinnerungen an die Wahrheit
vor Augen und die Worte ihrer jüngsten Tochter Kassandra im Ohr: „Das ist Dein Werk, Hekuba. Gedenkst Du nun meiner Warnungen?“ – Troja ging unter in Schutt und Blut.
Kassandra wurde gefangengenommen, und König Agamemnon nahm sie als Sklavin mit nach Mykene. Noch auf der Überfahrt nach Mykene prophezeite sie ihm: „Hüte Dich! Deiner harren die Mörder im eigenen Haus!“ Und richtig: Agamemnon, der stolze Anführer der griechischen Truppen, wurde von seiner Gattin Klytämnestra mit Hilfe ihres Geliebten Äghist in seinem eigenen Palast erschlagen. Da die Gattenmörderin in Kassandra als Prophetin ihrer schändlichen Tat eine gefährliche „Mitwisserin“ erkannte, ließ sie die trojanische Königstochter im Gefängnisturm einmauern. Doch Kassandras Abscheiden war kein Kampf. „In Erfüllung des göttlichen Willens, mit dem sie eins war“, so schließt der Bericht des Sehers über Kassandras Leben, „verließ sie das grobstoffliche Gefäß (...) Still wurde ihr Körper der Vergessenheit anheimgegeben; aber ihr flammender Geist ist ewig.“ Kassandra hatte ihre Aufgabe auf Erden erfüllt – doch leider hatte der Menschen Unreife das segenbringende Licht im Unheil erstickt.
Troja und das „dunkle Zeitalter“
Wahre Sieger gab es nicht nach dem Trojanischen Krieg. Auch für viele Überlebende hielt das Schicksal noch Kämpfe, Leid und Tod bereit. König Menelaos verließ Troja mit der zurückgewonnenen Helena, doch verschlug es seine Flotte – wie Homers „Odyssee“ zu berichten weiß – auf der Heimfahrt nach Sparta bis nach Ägypten. Er verlor den größten Teil seiner Schiffe und Mannschaften im Sturm. Auch der trojanische Fürst Aeneas, Schwiegersohn des Priamos, erlebte viel Unerfreuliches auf seiner Suche nach einer neuen Heimat. Er gelangte mit seinen Begleitern der Sage nach schließlich bis an die Westküste Italiens. Der römische Dichter Vergil hat viele Jahrhunderte später über seine weite Fahrt ein Epos verfaßt – die „Aeneis“. Diese Dichtung wurde zum Nationalepos der Römer, die Aeneas zum trojanischen Helden verklärten und zu ihrem Stammvater erkoren.
Doch in besonderer Weise berührt noch heute das Schicksal des Odysseus, als er nach dem Untergang Trojas die Heimfahrt nach Ithaka antrat. Er kam gemäß der „Odyssee“ erst nach langer Irrfahrt, bei der er alle seine Schiffe und Mannschaften verlor, nur mit Müh und Not zurück nach Ithaka. Von einer Odyssee spricht man noch heute, wenn jemand nach langen Umwegen und ungewöhnlichen Katastrophen doch noch glücklich sein Ziel erreicht. Neuere wissenschaftliche Forschungen geben vor, den Weg des Odysseus – nach dessen Verlauf seit der Antike unermüdlich geforscht wurde – seemännisch und geographisch und teilweise bis in kleinste Einzelheiten nachvollziehen zu können. Das interessante Ergebnis: Odysseus’ Fahrt ging bis an das „Ende der Welt“, bis nach Schottland!
In zehn Kriegsjahren waren Tausende oder sogar Zehntausende im Trojanischen Krieg ums Leben gekommen. Aber die Folgewirkung des Trojanischen Krieges war noch weitaus dramatischer als der Krieg selbst. Es drängt sich der Eindruck auf, daß der Krieg das sogenannte „dunkle Zeitalter“ in Griechenland und Kleinasien eingeleitet hat und damit geradezu apokalyptische Verhältnisse herbeiführte. Bald nach dem Fall Trojas drängten Völker aus dem Norden nach Griechenland und Kleinasien. Das stattliche Großreich der verbündeten griechischen Fürstentümer und das mächtige Großreich der Hethiter, verbunden mit den kleinasiatischen Fürstentümern, brachen plötzlich zusammen, so daß Kultur und Wirtschaft in Griechenland und Kleinasien über Jahrhunderte verkümmerten, wie archäologische Funde belegen.
Als einleuchtende Erklärung für diesen Verfall bietet sich der Krieg um Troja an. Denn ein starkes Troja mit den nordwestlich und östlich gelegenen Verbündeten wäre ein natürliches Bollwerk gegen die fremden Eindringlinge gewesen. Doch Troja und die verbündeten Städte waren von den Griechen zerstört worden, und das Herrschafts-, Wirtschafts- und Verteidigungssystem dieser Region Kleinasiens war völlig zusammengebrochen. Die Folge: allgemeines Chaos!
Aber auch den Griechen erging es nach dem Trojanischen Krieg nicht gut. Der Zusammenschluß der griechischen Fürstentümer zum gemeinsamen Angriff auf Troja war zwar eine beachtliche Leistung gewesen, doch der Einsatz für einen zehnjährigen sinnlosen und mörderischen Krieg hatte alle
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