Erinnerungen an die Wahrheit
zurück zum König Äolos. Der will aber jetzt nichts mehr mit den Griechen zu tun haben, da denen offensichtlich die Götter nicht wohlgesonnen sind. Anders kann er sich dieses außergewöhnliche Unglück nicht erklären, daß Odysseus über so eine weite Strecke wieder zu ihm zurückgeworfen wird. Auch Odysseus ist verzweifelt über diese Strafe der Götter und möchte am liebsten über Bord springen. Er ahnt wohl schon, daß noch Schlimmes auf ihn zukommen wird.
Das Schicksal wurde nach Ansicht der damaligen Menschen von Göttern gelenkt, und immer wieder erfahren wir von Homer, daß eine gütige Gottheit den Schiffen Geleit gibt oder eine zornige Gottheit widrige Winde schickt. Und in der Tat können Wetter und Wind von den unsichtbaren Naturwesen beeinflußt und gelenkt werden – wie überhaupt sämtliche Naturvorgänge. Bisweilen – wenn sie darum gebeten werden und wenn es ihren Aufgaben nicht zuwiderläuft – folgen sie auch den Wünschen der Menschen. Die alten Griechen wußten darum und opferten daher regelmäßig den Göttern, bevor sie in See stachen (das Opfern kam einer Bitte gleich). Manche der damaligen Menschen waren fähig, die hohen Anführer der Naturwesen zu schauen – die Götter des „Olymp“, wie die Griechen sie nannten – , und viele sahen auch die helfenden Naturwesen, die in den Elementen wirken, und die sie bisweilen ebenfalls als Götter bezeichneten. An der Existenz dieser Wesen zweifelte damals niemand. Doch schon zu Homers Zeiten hatte man die Götter arg vermenschlicht, so daß später, als das „Schauen“ immer mehr verkümmerte und oft die Phantasie mitspielte, der Götterglaube geradezu burleske Züge annahm. Das Christentum ging später oftmals mit großem Eifer gegen den Götterglauben vor. Einesteils zu Recht, wegen der oft untragbaren Formen, die dieser „Glaube“ angenommen hatte. Andernteils zu Unrecht, weil man die tatsächliche Existenz der vielfältigen „Götter“, die alle Diener des einen höchsten Gottes sind, als Unglauben verdammte. Doch wenn man diese für uns heutzutage zumeist unsichtbaren Wesen nicht wahrhaben und gebührend beachten will, steht der Glaube an Gott auf „tönernen“ Füßen.
Zurück zu Odysseus. Von Madeira aus gelangt er mit seiner Flotte unter mühseliger Ruderarbeit zum portugiesischen Festland, zur Mündung des Douro (bei der heutigen Stadt Porto). Diese Flußmündung ist von Felsen umsäumt, die der Flotte des Odysseus zum Verhängnis werden sollten. Es ist das Telepylos, das ähnlich wie der weit entfernte griechische Ort Pylos etwas oberhalb des Hafens an einer Westküste liegt. Die hier lebenden Lästrygonen greifen die im Hafen liegende griechische Flotte mit zerstörerischen Steinwürfen von den Felsen aus an – mit verheerender Wirkung. Odysseus verliert elf Schiffe und Mannschaften, und er kann nur das eigene Schiff und die eigene Mannschaft retten.
Auf der Insel Fair und an der Nordküste Schottlands
Die nächste Station des Odysseus, die Insel der „Zauberin“ Kirke, läßt sich nur im Zusammenhang mit den dann folgenden Stationen auffinden. Denn Homer gibt keine Angaben über Dauer und Richtung der Fahrt. Da Odysseus sich anschließend auf der Rückfahrt aber unentwegt auf Südkurs befindet, ist sie in nördlicher Richtung zu suchen. Und da die Mannschaft hungrig und ausgezehrt zwei Tage und Nächte braucht, um sich von den Strapazen der Fahrt zu erholen, ist eine längere Strecke ins Auge zu fassen. Die Insel hat nach Angaben Homers von einem Hügel aus überschaubare Größe und ist rings von endlosem Meer umgeben. In der Mitte der Insel befindet sich ein Tal. Alle von Homer genannten Eigenheiten der Insel treffen nur auf eine einzige Insel zu: die Insel Fair nördlich von Schottland, zwischen den Shetland- und Orkney-Inseln gelegen. Selbst die genau beschriebene Landebucht nebst Höhle ist hier zu finden. Über Ärmelkanal und Nordsee ist Odysseus hierhin verschlagen worden.
Auf der Insel Fair lebt die „Zauberin“ Kirke mit ihren Dienerinnen. Bei Homer verzaubert Kirke einen Teil der Mannschaft in Schweine, doch dürfte sie in Wahrheit die Männer nur durch ein Rauschgift außer Gefecht gesetzt haben. Odysseus kann Kirke von der Harmlosigkeit seiner Truppe überzeugen, und man bleibt fast ein Jahr auf der Insel. Bei der Insel Fair handelte es sich damals wahrscheinlich um eine heilige Insel, wie es sie auch noch zur Zeit der Kelten gab, die viele Gebräuche der Megalith-Kultur übernommen haben.
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