Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
beunruhigte auch nicht mehr, dass ich ein Chaos hinterlassen würde: Manuskripte und Akten, Andenken und andere kümmerliche Habseligkeiten. Meine Papiere würden an eine Universitätsbibliothek gehen, die sich bereit erklärt hatte, sie zu beherbergen. Der Rest konnte in alle vier Winde verstreut werden. Das Altern, vor dem ich mich gefürchtet hatte, war bis jetzt nicht besonders beschwerlich gewesen. Ich hatte ungefähr alle Kinderkrankheiten durchgemacht, aber abgesehen von Erkältungen, die sich länger und länger hinzogen, und einer unangenehmen Bronchitis vor einigen Jahren war ich nie krank gewesen. Mit der Hilfe einer gelegentlichen Steroidinjektion in meinen Rücken konnte ich die meisten Ziele, die ich erreichen wollte, noch zu Fuß erreichen, und in ganz gutem Tempo. Mein Gedächtnis hatte keinen Schaden genommen. Eine Lesebrille war notwendig geworden, der graue Star war eine neuere Entwicklung, gegen die ich etwas unternehmen würde, und ich konnte nicht mehr so gut hören wie früher. Irreparabel war der Verlust an Leidenschaftlichkeit. Meine sporadischen Vereinigungen mit dieser oder jener relativ attraktiven Dame nach Bellas Tod waren Pawlow’sche Reflexe auf die immer gleichen Stimuli gewesen: die Willigkeit der Dame und die Mühelosigkeit der Transaktion. Diese schalen Affären brachte ich eine nach der anderen zu einem prompten und wie ich hoffte würdigen Ende.
Während ich diesen Gedanken nachhing, konnte ich aus den Augenwinkeln beobachten, dass das junge Liebespaar Fortschritte machte. Die Hand des Mannes war im Hemd des Mädchens. Dieses hatte sich zur Seite gedreht und die nackten Beine quer über seinen Schoß gelegt. Sie hatten die Augen geschlossen. Ich flüsterte neidisch: »Und dein Verlangen ungestillt / Wie Feuer aus den Poren quillt …«. Wie auf ein Signal sprangen sie auf und hasteten Hand in Hand zu einem Ausgang in Richtung Central Park West.
IV
Als wir am Abend zuvor in die Bibliothek umgezogen waren, erzählte mir Lucy, nach ihrer Rückkehr aus Paris sei ihr beim Wiedersehen mit Thomas auf dem Hochzeitsempfang ihres Bruders John klar geworden, dass zwischen ihnen alles aus war. Das Ding war nicht zu retten. Natürlich hätte sie ihm das sofort sagen sollen, aber ihr sei zu viel durch den Kopf gegangen und es habe zu viel Trubel um sie herum gegeben, den Streit und die Erklärungen konnte sie sich nicht auch noch zumuten. Außerdem sei es gar nicht nötig gewesen. Zwei Tage danach, am Montagmorgen, würde sie wieder nach Paris zurückkehren; und dann, wenn sie die Wohnung geschlossen und ihre Koffer umgepackt habe, nach Genf aufbrechen. Beim Dinner im Anschluss an den Empfang hatte Thomas sie angefleht, ihn in ihr Zimmer zu schmuggeln und die Nacht über dort zu behalten, aber sie hatte sich geweigert. Sie war todmüde, und selbst wenn sie Lust auf ihn gehabt hätte, was an dem Abend nicht der Fall war, gefiel ihr die Vorstellung nicht, dass er am Morgen heimlich durch die Korridore schleichen würde. Das Haus war voll bis unter die Decke; sie würde peinlichen Klatsch und einen üblen Auftritt mit ihrer Mutter riskieren. Aber am Ende willigte sie ein, sich am nächsten Morgen mit ihm in den Dünen zu treffen. Er wollte immer nur Sex, jederzeit und überall. Aber Sex so zu treiben, dass sie ihn unbedingt haben musste, dass er zu einem Bedürfnis wurde wie Essen und Trinken,war ihm nie in den Sinn gekommen. Ein sexbesessener Kapaun war er! Wie gewöhnlich kam er zu schnell und versuchte es wiedergutzumachen, indem er weiter und weiter dranblieb. Das nützte nichts. Sie hatte das Gefühl, sehr fern – fern und losgelöst – von dem zu sein, was er mit und in ihrem Körper tat. Seltsam war, dass er es nicht bemerkte. Wahrscheinlich gefiel es ihm besser, wenn sie passiv blieb, so dass er sich einfach auf sich selbst konzentrieren konnte, was ihm sowieso am wichtigsten war.
Du hattest keine Einladung zur Hochzeit, fuhr sie fort, warum hätte man dich auch einladen sollen, aber wenn du dir als Romancier einen Eindruck vom besten Stil solcher Festivitäten hättest verschaffen wollen, dann wäre diese Hochzeit das einzig Wahre für dich gewesen. Edie, das Gänschen, das mein Bruder John heiratete, war mit zehn Jahren Waise geworden: Ihre Eltern und der Pilot kamen um, als sie mit einem absurden einmotorigen Flugzeug auf dem Weg von einer Insel der British Virgins zur nächsten abstürzten, und die Verwandten, ihre Vormünder, waren heilfroh, dass meine Eltern die Hochzeit im
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