Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
Reihe aus zusehen, wie Miss Lucy De Bourgh demontiert wurde. Eine Geschichte, ganz wie sie dir gefällt. Ich hätte dich durchschauen müssen.
Ich sagte, das sei schierer Unfug. Ich möge sie; sie sei damals wie heute eine Freundin. Soweit ich am Rand mit den Ereignissen verbunden sei, von denen sie erzähle – und damals in Paris hätte ich Thomas nur getroffen, weil sie ihn mir vorgestellt habe –, seien das alte Geschichten, an die ich mich nur vage erinnern könne. Später in New York, solange sie noch mit Thomas zusammen war, hätten wir nur oberflächliche Kontakte gehabt. Ein paar vollkommen angenehme Abendessen und Verabredungen zu Drinks. Das war alles!
Ja, ja, ja, sagte sie noch einmal. Du meinst also, das sei alles, was du weißt. Möchtest du mehr wissen? Meine Geschichte hören, um deine berufsbedingte Neugier zu befriedigen? Sind dekadente New-England-Familien nicht ein Thema, das dich interessiert? Du hast Geld damit gescheffelt, dass du über uns geschrieben hast.
Ich nickte und sagte: Natürlich.
Es ist eine lange Geschichte, erwiderte sie, aber langweilig ist sie nicht, und ich habe viel Zeit. Wir können gleich anfangen.
Ich sah auf die Uhr. Es war nach zehn. Glaubte sie, siemüsse mich auf der Stelle festnageln, weil ich sonst nicht wiederkäme?
Ich möchte hören, was immer du mir von deiner Geschichte erzählen willst. Als Freund, nicht als irgendein Ethnograph, aber ich sollte wirklich nicht lange bleiben.
Dann lassen wir alles hier auf dem Tisch stehen und ziehen in die Bibliothek um, antwortete sie. Und ich möchte noch einen Highball: so wie den, den du mir vorhin gemischt hast, nur stärker.
Als ich wieder zu Hause war, ging ich gleich ins Bett. Aus dem einen Highball waren drei für Lucy und zwei für mich geworden. Ich schlief schlecht, vielleicht weil ich es nicht mehr gewohnt war, nach dem Essen noch weiterzutrinken. Am nächsten Morgen arbeitete ich ungefähr drei Stunden lang, aber das führte zu nichts. Meine Prosa war fade. Ich hatte keinen Elan. Als ich aufgab, war Zeit zum Mittagessen. Wieder war das Wetter herrlich. Ich entschied mich gegen den Käse und die Salami in meinem Kühlschrank und aß stattdessen in einem Coffeeshop an der Columbus Avenue ein Sandwich mit Eiersalat. Anschließend ging ich in den Park und setzte mich auf eine Bank in der Sonne, so dass sie mir ins Gesicht schien. Die Gedanken an Lucys Monolog bedrückten mich. Diese schöne, intelligente, boshaft witzige junge Frau, immer zu einem neuen Nervenkitzel bereit, hatte sich alles verpatzt. Wie jedes Mal seit meiner Rückkehr aus Frankreich, wenn ich mich im Park aufhielt, bemerkte ich, dass er frisch und liebevoll gepflegt aussah, ein Zustand, den man vor gar nicht langer Zeit noch nicht für möglichgehalten hätte. Auf seine Art war er so gut wie die besten französischen öffentlichen Parks. Auf einer Bank an der anderen Seite des Weges, in einem schrägen Winkel von mir aus gesehen, saß ein junges hispanisches Paar. Das Mädchen war attraktiv, aber den kurzen Spitzbart ihres Begleiters fand ich abstoßend. Sie küssten sich intensiv; entweder bemerkten sie meine Anwesenheit nicht, oder sie war ihnen gleichgültig.
Große Traurigkeit überkam mich. Lucy war alt; ich war alt; Thomas und Bella waren tot wie so viele andere auch, deren Gegenwart ich für selbstverständlich genommen hatte. Leichen verwesten, wo sie in der Erde lagen, oder waren schon vom Lehm aufgeschluckt, die Asche anderer hier und da verstreut. Ich hatte Bella auf dem Friedhof Montparnasse in Paris in der Grabstätte ihrer Mutter und der Großeltern beigesetzt. Ihr Vater, der bei ihrem Tod einundneunzig war, lebte noch drei Jahre und folgte dann den anderen nach. Selbst wenn noch Platz in der Grabstätte war, was ich nicht wusste, gab es niemanden mehr, den ich hätte bitten können, auch mich dort zur Ruhe zu betten. Ich konnte mir nicht vorstellen, meinem Vetter Josiah die Organisation eines transatlantischen Begräbnisses zuzumuten. Ich würde eingeäschert, dafür konnte der Anwalt sorgen, der mein Testament in seinem Safe hatte, oder jemand aus seinem Büro; das kostete keine Mühe. Wenn mein Vetter Josiah dann noch am Leben war, würde er meine Asche im Garten des Hauses bei Sharon, das er erben würde, unter dem riesigen Rhododendron vor dem Fenster von Bellas Studio begraben. Wenn er vor mir starb, würde das vielleicht eine seiner Töchter oder Enkelinnen übernehmen. Angst vor dem Tod trieb mich nicht um, undmich
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