Erinnerungen an eine Ehe: Roman (German Edition)
oder zwei davon kannte ich gut. Aber wir lernten uns durch meinen Freund Guy Seurat kennen, der sein französischer Verleger geworden war – so wie Bellas und meiner. Bill stammte aus New Orleans, wo seine Familie seit Generationen ein Fuhrunternehmen hatte, das sich allmählich zu einer Spedition und Umzugsfirma entwickelte. Der Süden war eine Welt, die ich nur aus der Südstaatenliteratur kannte, die damals groß in Mode war. Bills Bücher unterschieden sich deutlich von dieser Richtung. Seine Erzählungen von mörderischen Geschwisterkämpfen um Eigentum waren beißend und kopfgesteuert, verzichteten auf rhetorische Höhenflüge und hatten in ihrer Stimmung und Perspektive mehr gemein mit Mauriacs Schilderungen des Kannibalismus der Bourgeoisie in der Region um Bordeaux, als mit Faulkners und später Flannery O’Connors Behandlung nicht unähnlicher Themen. Wie viele amerikanische Schriftsteller und Künstler fühlte er sich in den sechziger Jahren in Paris nicht mehr wohl – ich war wegen Bella geblieben –, fand dann aber die Art abstoßend, wie das Öl- und Erdgas-Geld New Orleans veränderte, und kam häufig nach Paris zurück, wo er in einem pied-à-terre im Marais logierte, doch während der siebziger und achtziger Jahre lebte er überwiegend in New York, im vierten Stock eines Mietshauses an der oberen Lexington Avenue, ohne Aufzug und mit Durchgangszimmern, zusammen mit Dick Berger, einem Konzeptkünstler, der langsam in Mode kam. Gegen Ende dieser Phase, nachdem Dick ihm rüde den Laufpass gegeben hatte, kaufte Bill ein altes Haus an einer ruhigen Seitenstraße in Lenox. Wir hatten uns in Paris auf Anhieb verstanden und wurden gute Kollegen. Aber geliebt hatte Bill Bella, die seine Affären, auch die katastrophale Verstrickung mit Dick, in- und auswendig kannte und ihm Rat und Trost spendete. Als wir das Haus in Sharon renoviert hatten, wurde es zurTradition, dass Bill uns jeden Sommer besuchte, gewöhnlich in der Zeit um den Labor Day. Als Bella gestorben war, schloss Bill sich enger an mich an, als habe sie mich in ihrem Testament an ihn überschrieben. Auch er war jetzt allein; ein junger Mann nach dem andern verließ ihn aus Gründen, die Bill nicht ausloten oder diskutieren wollte.
Ein paar Tage nach seiner Ankunft lud ich meinen Vetter Josiah und seine Frau Molly zum Dinner ein. Bill war gern mit ihnen zusammen. Auch unsere Essen mit ihnen samt Töchtern und Enkelkindern, falls gerade welche zu Besuch waren, hatten sich zu einer Tradition entwickelt. Diesmal kamen sie allein. Wir aßen auf der mit Fliegengitter geschützten Veranda und hatten uns so gesetzt, dass wir alle den Mond bewundern konnten, der früh aufgegangen war und wie eine gelbe Laterne über uns hing. Ich hatte auf die Dienste von Mrs. James verzichtet und servierte Steaks, die ich auf meinem kleinen Außengrill gebraten hatte, dazu neue Kartoffeln und Tomatensalat; zum Nachtisch gab es eine von Mrs. James’ Tochter gebackene Pfirsichtarte. Ein Dinner, für das sich auch Bella an einem heißen Augustabend entschieden hätte, und ich konnte nicht umhin, mich zu freuen, dass ich es zustande gebracht hatte. Außer Molly, die fahren würde, tranken wir unvernünftig viel von meinem alten Chinon, und Josiahs Witzelei über meine Konferenzen mit Alex und mein generelles zwanghaftes Interesse an Thomas und Lucy machte mir nichts aus.
Stimmt das, Philip trifft sich immer noch mit ihr?, warf Bill ein. Ich habe mir das schon vor einer Ewigkeit abgewöhnt, und wenn du mich fragen würdest, ob sie tot oder lebendig ist, müsste ich sagen: Weiß ich nicht. DassThomas vor ein paar Jahren gestorben ist, weiß ich wohl, und als der Unfall passierte, war sie mit Sicherheit nicht tot. Die Times schrieb, dass seine beiden Ehefrauen ihn überlebt hätten. Jane kenne ich natürlich. Sie hat mich interviewt. Ich gebe zu, Lucy kannte ich eine Zeitlang sehr viel besser, wir trafen uns dauernd in Paris und dann in New York, als Dick Berger und ich noch zusammen waren. Ich kannte sogar Thomas, sah ihn manchmal in New York. Dann war alles vorbei. Trotzdem, was meinst du, warum mir der Gedanke, dass Lucy vielleicht nicht mehr lebt, durch den Kopf ging? Wunschdenken?
Josiah lachte. Sterben ist so zur Gewohnheit geworden, daran wird es liegen! Aber du kannst dich beruhigen. Lucy ist quicklebendig. Philip kann dir Näheres sagen. Er ist zurzeit der weltweit führende Experte.
Der bissige Unterton von Bills Bemerkungen über Lucy hatte mir missfallen,
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