Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
sein unverschämtes Lied sang. Als er uns sah, suchte er zu entwischen. Allein wir versetzten ihm so viele Schläge mit unsern Nesselruten, daß seine Hände, seine Beine und sein ganzes Gesicht drei Tage lang geschwollen waren, und er am andern Tage nicht mit uns zur Cour nach Peterhof kommen konnte, sondern zu Hause bleiben mußte. Und er hütete sich, mit jemand über das Geschehene zu sprechen, denn wir hatten ihm versichert, daß wir bei der geringsten Veranlassung zur Klage über ihn genau dasselbe Mittel wieder anwenden würden, da es wirklich kein anderes gab, mit ihm fertig zu werden. Wir faßten zwar dies alles als bloßen Scherz auf, allein unser Mann hatte genug gespürt, um sich daran zu erinnern, und gab sich keine Blößen mehr, wenigstens nicht mehr in dem Grade, wie es früher der Fall gewesen war.
Im August erfuhren wir von der am 14. desselben Monats gelieferten Schlacht bei Zorndorf, einer der blutigsten Schlachten des Jahrhunderts, da auf jeder Seite mehr als 20 000 Tote und Verwundete geblieben waren. Unser Verlust an Offizieren war beträchtlich; mehr als 1200 hatten wir zu beklagen. Zwar meldete man uns diese Schlacht als für uns gewonnen, allein im geheimen flüsterte man sich zu, die Verluste wären auf beidenSeiten gleich, und drei Tage hindurch hätte keine der beiden Armeen gewagt, sich den Sieg zuzuschreiben. Endlich, am dritten Tage, habe der König von Preußen in seinem Lager und Graf Fermor auf dem Schlachtfelde das Te Deum singen lassen. Der Aerger der Kaiserin und die Bestürzung der Bevölkerung waren groß, als man alle Einzelheiten dieses blutigen Tages erfuhr, an dem viele ihre Verwandten, Freunde und Bekannten verloren. Lange Zeit hindurch hörte man nur Aeußerungen des Schmerzes. Auch viele Generale waren getötet, verwundet oder gefangen genommen worden. Schließlich fand man, daß Graf Fermors Benehmen nichts weniger als geschickt und militärisch gewesen sei, und der Hof rief ihn zurück und ernannte den Grafen Peter Soltikoff an seiner Stelle zum Befehlshaber des russischen Heeres in Preußen. Soltikoff wurde zu diesem Zwecke aus der Ukraine abberufen, wo er befehligte, und man übertrug sein Kommando einstweilen dem General Froloff Bagreeff, jedoch mit dem geheimen Befehl, nichts zu unternehmen, ohne die Generalleutnants Graf Rumianzoff und Fürst Alexander Galitzin zu befragen. Den letzteren beschuldigte man, er hätte, da er in kurzer Entfernung vom Schlachtfelde mit einem Korps von 10 000 Mann auf den Anhöhen postiert gewesen, von wo er die Kanonade hörte, die Schlacht entscheidender machen können, wenn er der preußischen Armee in den Rücken gefallen wäre, während sie mit der unserigen kämpfte. Allein Graf Galitzin hatte dies unterlassen. Als ihn daher sein Schwager Rumianzoff in seinem Lager aufsuchte und er ihm von der stattgehabten Schlächterei erzählte, war dieser sehr schlecht gelaunt, sagte ihm alle möglichen Grobheiten und wollte später nichts mehr mit ihm zu tun haben, weil er ihn als Feigling betrachtete. Dies war aber Fürst Galitzin keineswegs. Die ganze Armee ist mehr von seiner als von der Unerschrockenheit des GrafenRumianzoff überzeugt, trotz dessen gegenwärtiger Siege und Berühmtheit.
Anfang September befand sich die Kaiserin in Zarskoje Selo. Am 8., dem Marientage, begab sie sich zu Fuß in die Dorfkirche, die nur ein paar Schritte von dem nördlichen Tore des Schlosses entfernt war, zur Messe. Kaum aber hatte der Gottesdienst begonnen, als sich Elisabeth plötzlich unwohl fühlte und die Kirche verließ. Sie ging den kleinen schräg nach dem Palaste zu liegenden Perron hinab, aber schon kurz hinter der Kirche fiel sie bewußtlos ins Gras. Rings um sie herum wogte die Menge des Volkes, das von allen Dörfern der Umgegend zusammengekommen war, um die Messe zu hören. Niemand von ihrer Begleitung war der Kaiserin gefolgt, als sie die Kirche verließ. Aber bald verbreitete sich das Gerücht von dem Unfall Ihrer Majestät, und die Ehrendamen und Vertrauten kamen eiligst herbei. Sie fanden sie bewußtlos inmitten des Volkes, das sie neugierig betrachtete, ohne indes zu wagen, sich ihr zu nähern und ihr zu helfen. Da die Kaiserin groß und stark war, mußte sie sich beim Fallen erheblich verletzt haben. Man bedeckte ihr Gesicht mit einem weißen Tuch und holte schnell ein paar Aerzte und Chirurgen herbei. Der Wundarzt erschien zuerst. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als ihr in Gegenwart aller zur Ader zu lassen, aber sie kam nicht zu
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