Erinnerungen der Kaiserin Katharina II.
Feind war.
Nach der Lektüre des Briefes und den Betrachtungen, die ich darüber aufstellte, drängten sich eine Menge Gedanken, immer einer unangenehmer als der andere, meinem Geiste auf. Sozusagen mit dem Dolche im Herzen kleidete ich mich an und ging zur Messe. Es kam mir vor, als ob die Gesichter aller, die ich dort sah, ebenso lang geworden wären, als dasmeinige. Niemand sprach mit mir über das Ereignis auch nur ein Wort – es war, als wisse man von dem Geschehenen nichts. Auch ich sagte den ganzen Tag über nichts. Nur der Großfürst, der den Grafen Bestuscheff nie leiden mochte, erschien mir an jenem Tage besonders vergnügt und heiter, hielt sich aber – was ihm ja nicht schwer fiel – nichtsdestoweniger mit großer Ostentation von mir fern. Am Abend hieß es dennoch zur Hochzeitsfeier gehen. Ich kleidete mich um und war bei der Einsegnung der beiden Ehen Graf Buturlins und Leon Narischkins, sowie beim Souper und Ball zugegen. Während des letzteren näherte ich mich dem Heiratsmarschall Fürsten Nikita Trubetzkoi, und unter dem Vorwande, die schönen Bänder seines Marschallstabes zu besehen, sagte ich mit halblauter Stimme zu ihm: »Was bedeuten alle diese Sachen? Haben Sie mehr Verbrechen als Verbrecher, oder mehr Verbrecher als Verbrechen gefunden?« Hierauf entgegnete er: »Wir haben getan, was man uns befohlen hat, was aber die Verbrechen betrifft, so sucht man noch nach ihnen. Bis jetzt sind die Schritte, die man getan, nicht vom Glücke gekrönt gewesen.« Nachdem ich mit ihm fertig war, ging ich zum Marschall Buturlin, der mir sagte: »Bestuscheff ist verhaftet, doch suchen wir augenblicklich noch nach der Ursache seiner Verhaftung.« – So redeten die beiden Kommissare, die von der Kaiserin ernannt worden waren, um zu untersuchen, weshalb Graf Alexander Schuwaloff den Grafen Bestuscheff verhaftet hatte.
Auf diesem Balle sah ich auch Stambke von weitem und fand ihn sehr leidend und entmutigt aussehend. Die Kaiserin erschien auf keiner dieser Hochzeiten, weder in der Kirche noch bei den Festlichkeiten. Am folgenden Tag kam Stambke zu mir, um mir zu sagen, daß er vom Grafen Bestuscheff ein Billett erhalten, worin dieser ihm eingeschärft hätte, mir zu sagen, ich solle mich nicht über das Vorgefallene ängstigen,denn er habe Zeit gefunden, alles zu verbrennen, und werde mir über seine Verhöre, wenn er überhaupt verhört werden sollte, auf demselben Wege Mitteilung machen. Als ich Stambke fragte, wie dies geschehe, erwiderte er, ein Waldhornbläser des Grafen habe ihm den Zettel überbracht, und man sei übereingekommen, in Zukunft alle Mitteilungen zwischen Ziegelsteinen an einem nicht weit vom Hause Bestuscheffs befindlichen Orte niederzulegen. Obwohl er selbst in der größten Angst zu sein schien, forderte ich Stambke auf, sich in acht zu nehmen, daß diese gefährliche Korrespondenz nicht etwa entdeckt werde. Nichtsdestoweniger setzten er und Graf Poniatowski sie fort. Als Stambke fort war, rief ich Madame Wladislawa und trug ihr auf, ihrem Schwager Pugowoschnikoff ein Billett zu überbringen, das ich ihr einhändigte. Es enthielt nichts als folgende Worte: »Fürchten Sie nichts; man hat Zeit gefunden, alles zu verbrennen!« Dies beruhigte ihn, denn allem Anschein nach mußte er nach Graf Bestuscheffs Verhaftung mehr tot als lebendig sein, und man wird begreifen, weshalb, wenn man weiß, was Graf Bestuscheff Zeit gehabt hatte, zu verbrennen.
Die Kränklichkeit und häufigen Krämpfe der Kaiserin richteten aller Augen natürlicherweise auf die Zukunft. Und Graf Bestuscheff war, wie sich bei seiner Stellung und seinen Geistesfähigkeiten denken läßt, sicherlich nicht der letzte, der darüber nachgedacht hatte. Er kannte die Abneigung, welche man dem Großfürsten schon seit langer Zeit gegen ihn eingeflößt hatte, kannte aber auch die geringen Geistesgaben des Prinzen, des Erben so vieler Kronen. Es ist daher natürlich, daß dieser Staatsmann, wie es jeder andere übrigens auch getan haben würde, sich in seiner Stellung zu behaupten wünschte. Seit einigen Jahren hatte sich meine Meinung über ihn zu seinen Gunsten geändert, und außerdem betrachtete ermich vielleicht als die einzige Persönlichkeit, auf die man in dieser Zeit, für den Fall, daß die Kaiserin starb, die Hoffnung des Reiches gründen könne. Diese und andere ähnliche Betrachtungen hatten ihn zu der Absicht gebracht, beim Ableben der Kaiserin den Großfürsten zum rechtmäßigen Herrscher, aber gleichzeitig mich
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