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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Straßenhure.
    Ich glaube, er begriff gar nicht, dass dies sein Ende sein würde. Erst als ich ihn fast leer gesaugt hatte. Da wand er sich in meinen Armen und wollte abrücken. Doch so ausgehungert, wie ich war, gelang es ihm nicht. Er konnte sich nicht befreien. Der Blutverlust schwächte ihn bereits.
    „Aufhören“, hörte ich ihn dicht an meinem Ohr flüstern. „Bitte aufhören.“
    Aber ich drückte ihn noch fester an mich, biss heftiger zu und saugte noch stärker. Seine Kraft strömte durch mich hindurch, füllte mich aus, wärmte mich und erfüllte mich mit pulsierendem Leben. „Verdammt … du … bringst mich um …“ Ein kaum vernehmliches Flüstern.
    Diese Stimme, diese seidige Stimme, die wie Musik in meinen Ohren klang, flehte jetzt, völlig ausgelaugt, um ihr Leben. Entsetzt stieß ich ihn von mir. Dann brach er zusammen, lag wie eine leblose Puppe am Boden und sah mich mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen an. Dann fielen sie ihm zu.
    „Jesus, Maria und Josef, was habe ich getan?“, flüsterte ich, wandte mich ab und wollte fliehen.
    „Keine Bewegung.“
    In dieser Stimme klang keine Musik mit. Keine Seide. Sie ertönte schroff und bösartig aus unmittelbarer Nähe der Tür. Eine befehlsgewohnte, herrische und bedrohliche Stimme. Ich erstarrte, und durch die Panik wurde mein ganzer Körper kalt, den ich eben noch mit dem frischen Blut meines Opfers gewärmt hatte. Der Neuankömmling sah den Mann nicht, der mir gerade zum Opfer gefallen war. Nicht von dort. Ich hoffte, er würde ihn gar nicht bemerken. Ich würde es nicht ertragen, wenn jemand erfuhr, was ich getan hatte, was aus mir geworden war.
    Er kam näher und hielt eine Waffe auf mich gerichtet. Eine Art Pistole.
    „Da drin ist ein Betäubungsmittel“, sagte er. „Wenn du freiwillig mitkommst, muss ich es nicht benutzen.“
    Ich sah Waffe und Mann an. „Mitkommen … wohin?“, fragte ich ihn. Dann leckte ich mir die Lippen, schmeckte noch die gute Mahlzeit auf der Zunge. Sündige Gelüste erfüllten mich, als ich den Geschmack kostete.
    „Du bist ziemlich jung, richtig? Wann haben diese Dreckskerle dich verwandelt?“ Plötzlich klang die Stimme voll Sympathie.
    „Vor drei Nächten“, antwortete ich aufrichtig, da ich keinen Grund sah zu lügen. Der Mann leuchtete mich mit der Taschenlampe an; das Licht schien mir in die Augen, spiegelte sich funkelnd in dem Kruzifix und zeigte meine zerrissene Tracht.
    „Bei Gott“, murmelte er. „Sie sind die vermisste Nonne.“
    „Novizin. Keine Nonne. Noch nicht.“ Ich machte die Augen zu und wandte das Gesicht vom Licht ab. „Niemals.“
    „Ich kann Ihnen helfen“, sagte er und schaltete die Taschenlampe aus, als wäre das ein Zeichen guten Willens. „Ich arbeite für das DPI – das Department for Paranormal Investigation. Das ist eine staatliche Behörde, Schwester. Wir sind Forscher und …“
    „Nennen Sie mich nicht ‚Schwester‘“, sagte ich. „Nennen Sie mich nie wieder ‚Schwester‘.“
    „Entschuldigen Sie. Hören Sie mir zu … begleiten Sie mich. Wir arbeiten an einem Heilmittel. Es besteht die Möglichkeit, dass wir Sie retten können.“
    Ich kniff die Augen zusammen und sah ihm ins Gesicht. „Wohin?“
    „Zu unserem Hauptquartier. In White Plains. Es ist nicht weit, echt nicht. Kommen Sie, begleiten Sie mich. Ich will Ihnen helfen. Sie wollen doch wieder ein Mensch werden, oder nicht?“
    Ich blinzelte und betrachtete ihn. War das wirklich möglich? Konnte ich wieder sterblich werden und so meine unsterbliche Seele zurückerlangen?
    Nein! Trau ihm nicht!
    Ich erstarrte, als ich klar und deutlich die satingleiche Stimme in meinem Kopf hörte. Die Stimme meines Opfers. Nicht wie ein verstreuter Gedanke oder ein Tagtraum. Wirklich und wahrhaftig, schwach und atemlos, in meinem Geist. Seine Stimme. Sie war real.
    Ich drehte mich um. Obwohl er die Augen kaum öffnete, sah er mich flehentlich an. Geh nicht mit ihm! Geh nicht …
    Ich wandte mich ab und beachtete den sterbenden Mann nicht weiter. Auf ihn sollte ich momentan ganz sicher nicht hören. Er hatte zugegeben, dass er Freunde … wie mich hatte, wie er sich ausdrückte. Andere Vampire. Sollte ich einem Freund dieser Kreaturen vertrauen, dieser Blutsauger in Menschengestalt, dieser Raubtiere der Nacht? Nein. Ich hasste sie, alle. Und ich hasste mich, weil ich eine von ihnen war. Es sollte ein Ende haben! Ich konnte nicht als Monster weiterleben. Unmöglich.
    „Ich komme mit“, sagte ich. Und der

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