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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Fremde nahm meine Hand.
    Närrin. Ich hörte seine Stimme weiter im Geiste, während ich mit dem Fremden ging. Allerdings zunehmend schwächer. Verräterin. Du bist eine Verräterin deiner Art. Und du verdienst, was sie dir dort antun!
    Ich schloss die Augen und versuchte, seine Stimme zu verdrängen.
    Ich hätte dir helfen können. Du wirst dir noch wünschen, du hättest mein Angebot angenommen, ich schwöre es dir …
    Und dann nichts. Gar nichts mehr. War er gestorben? Das Herz wurde mir schwer, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich hatte getötet. Nun schon zweimal, und das zweite Mal aus dem einzigen und alleinigen Grund, mein Leben zu retten. Ich war verflucht, aber vielleicht stand mir der Weg zur Erlösung noch offen. Vielleicht war dies einfach nur eine Prüfung oder eine Lektion, die ich lernen musste, bevor ich das letzte Gelübde ablegen konnte. Vielleicht durfte ich doch noch Vergebung erwarten.
    Der Fremde öffnete die Tür seines Wagens, ich stieg ein. Als wir wegfuhren, hörte ich seine melodische Stimme erneut, vielleicht im Sterben.
    Du hattest recht, Tam. Verdammt, ich brauche Hilfe … ich … ich …
    Dann nichts mehr. Kein Hinweis mehr auf Leben in diesem verfluchten Gebäude. Eine dicke Träne lief mir über die Wange, als wir um eine Ecke bogen und wegfuhren.
    „Jameson? Kannst du mich hören?“
    „Er kommt wieder auf die Beine, Tamara. Wir waren rechtzeitig dort.“
    „Aber Eric …“
    „Psst. Lass ihn ausruhen. Er braucht alle Kraft, wenn er aufwacht. Es fällt ihm sicher nicht leicht, damit fertig zu werden. Er war noch nicht bereit.“
    „Ich weiß.“ Eine Hand strich über Jamesons Gesicht. „Tut mir leid“, flüsterte sie. „Aber wir konnten dich nicht einfach so gehen lassen.“
    Jameson schlug die Augen auf und blinzelte, weil etwas mit seinem Sehvermögen nicht stimmte. Alles schien zu grell. Zu deutlich. Hastig und erschrocken machte er sie wieder zu. „Was ist passiert?“, fragte er und durchsuchte sein Gedächtnis nach irgendwelchen Anhaltspunkten.
    „Du bist angegriffen worden“, sagte Tamara leise, und er registrierte erstaunt, dass er die Vibration ihrer Stimmbänder hören konnte, als sie ihn ansprach. Das perfekte Summen ihrer Stimme. Wie Musik. „Du hast mich zu Hilfe gerufen. Wir fanden dich in …“
    „Warte … ich erinnere mich. In dieser verfallenden Ruine.“ Da fiel ihm alles wieder ein, aber als er die Hand hob, damit Tamara verstummen sollte, drehte er sie langsam und betrachtete den weißen Verband am Handgelenk. Am anderen Handgelenk war er ebenfalls verbunden. „Was geht hier vor?“, fragte er langsam und sah einen nach dem anderen an.
    Rhiannon saß auf einem Stuhl links von ihm. Sie legte ihre elegante Hand um seine deutlich größere. „Ein abtrünniger Dreckskerl hat dich ausgesaugt, bis du fast gestorben wärst. Uns blieb keine andere Wahl.“
    Er schüttelte den Kopf, begriff aber dabei allmählich, was sie ihm sagen wollten. Es bestand kein Zweifel. Er hätte es auch ohne ihre besorgten, leicht schuldbewussten Mienen gewusst. Er spürte einfach alles. Jede Falte in der Bettdecke. Seine Haut kribbelte, und er hörte, wie der Wind das einzige tote Blatt zum Rascheln brachte, das noch unten an dem Ahornbaum hing. Wie viele Stockwerke tiefer wuchs dieser Baum in seiner perfekten, kreisrunden Öffnung im Asphalt? Vierundzwanzig?
    Wieder betrachtete er die Verbände. „Ich verstehe nicht“, sagte er.
    „Du warst bewusstlos“, flüsterte Tamara. „Zu schwach zum Trinken.“
    „Und?“
    „Du wärst gestorben, Jamey, Jameson“, fuhr sie fort. „Ich dachte …“
    Eric drehte sich zum Fenster, blickte in die Nacht, sah Jameson nicht in die Augen. „Ich musste einige Schläuche legen“, sagte er. „Für die Transfusionen.“
    „Trans…fusionen?“ Er fixierte so lange Erics Rücken, bis er sich umdrehte. „Eric?“ Dann richtete er den Blick auf Roland, der stumm in einer Ecke des Zimmers stand und nur zuhörte, zusah. „Roland? Großer Gott, wollt ihr damit sagen, dass ich …“
    Roland nickte nur einmal. „Ja. Dein Leben als Sterblicher endete letzte Nacht, Jameson. Wir konnten es nicht retten. Wir konnten dir nur ein neues Leben als Ersatz für das anbieten, das der Dreckskerl dir genommen hat. Ein Leben der … ewigen Nacht.“
    Jameson schloss fluchend die Augen. Er hörte Tamara leise weinen, spürte Rhiannons Hand fest auf seiner.
    „Ich kann es nicht glauben“, murmelte er. „Herrgott, ich kann es nicht glauben.“

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