Erinnerungen der Nacht
Finger in den Stoffbezug.
„Ich hoffe bei Gott, dass sie ein normales Kind ist, Angelica, aber das wissen wir erst, wenn wir sie sehen. Es wäre tragisch, wenn …“
„Deine Art“, flüsterte sie, „die werden nie älter?“
Wieder bestätigte sich seine Vermutung, dass sie nichts über ihre Gattung wusste. „Nein. Unsere Art wird nie älter.“
„Sie wäre ihr Leben lang im Körper eines Säuglings gefangen?“ Angelica schüttelte den Kopf hastig von einer Seite zur anderen. „Nein, das wäre zu grässlich. Es kann nicht sein.“
„Es muss auch nicht so sein. Ich wollte … dich nur warnen. Für den Fall …“
Sie hob den Kopf und sah ihn mit ihren großen, klaren, wild dreinblickenden Augen an. „Gott wird das nicht zulassen. Nicht sie. Es ist genug … heiliger Jesus, es ist genug, dass er mich so bestraft hat. Aber nicht mein Baby. Sie ist ein normales kleines Mädchen, bestimmt. Ich weiß es.“
Hatte er sie für schwach gehalten? Körperlich vielleicht. Aber in keiner anderen Hinsicht. Das bestätigte sich nun. Im Augenblick sah sie wie ein Racheengel aus. Und er nickte zustimmend. „Du hast recht. Mit ihr ist alles in Ordnung. Ganz sicher. Ich habe mir umsonst Sorgen gemacht.“
In dem kurzen Moment dieses Blickkontaktes geschah etwas zwischen ihnen. Eine Verbindung wurde hergestellt. Ihre Seelen berührten sich, fanden zueinander. Dann wandte sie sich ab, und das Gefühl verschwand.
„Hast du einen Plan?“, fragte sie ihn.
„Nur für den Anfang. Diese Frau, die sich mit meiner Freundin Tamara in Verbindung setzte und ihr von dem Kind erzählte … Hilary Garner. Sie arbeitet für das DPI, aber offenbar ertrug sie es nicht, dass die ein Kind auf diese Weise benutzen. Ich habe ihre Adresse. Heute Abend gehen wir zu ihr, reden mit ihr. Sie weiß vielleicht, wohin sie das Baby gebracht haben … und vielleicht verrät sie es uns sogar.“
„Und wenn nicht?“
Jameson knirschte mit den Zähnen. „Dann überzeugen wir sie.“
Hoffnung erfüllte mein Herz, als wir uns dem Gebäude näherten, in dem diese Frau wohnte. Mit jeder Faser meines Körpers versuchte ich, Kontakt zu meinem Baby herzustellen, wollte meine Tochter erspüren, doch nichts geschah. Dennoch klammerte ich mich an die Hoffnung. Diese Frau musste etwas wissen. Und sie würde uns helfen. Das war gewiss die ganze Zeit ihre Absicht gewesen, sonst hätte sie nie Jamesons Freundin informiert. Jameson …
Er entsprach so gar nicht meinen Erwartungen. Er hatte mich von diesem schrecklichen Ort gerettet. Zugelassen, dass ich mich an seinem Körper labte. Sogar … seltsamerweise … versucht, mich zu trösten, als mich beim Anblick dieser grässlichen Särge das nackte Grauen überkam. Und er schien so fest entschlossen wie ich, unser Kind zu retten.
Unser Kind. Es war nicht richtig, sie so zu nennen. „Sie braucht einen Namen“, flüsterte ich halb zu mir selbst.
Jameson drehte sich fragend zu mir um, dann begriff er. „Ja, den braucht sie. Schwebt dir schon etwas vor?“
Ich legte den Kopf schief. „Wenn ich allein war, an die Wand meiner Zelle gekettet oder in der Kiste gefangen, während ich darauf wartete, dass es den Wachen beliebte, mich herauszulassen, redete ich mit ihr. Ich sang ihr vor und hielt mir den Bauch, als würde ich sie in den Armen wiegen. Ich nannte sie Lily. So sehe ich sie, makellos wie eine perfekte Lilie. Und Amber, weil sie ein Mysterium ist, so alt wie die Zeit selbst. Das Kind einer Jungfr…“ Ich biss mir auf die Lippe. Aber es war zu spät. Mit meiner losen Zunge hatte ich wieder eines meiner Geheimnisse ausgeplaudert.
„Das Kind einer Jungfrau?“ Seine Augen wurden groß vor Fassungslosigkeit. Und dann lächelte er. „Das ist fast … heilig. Das erste von einer Vampirin geborene Kind … wird von einer Jungfrau zur Welt gebracht.“
„An dem, was die mit mir gemacht haben, ist nichts heilig“, sagte ich und wünschte mir wieder, ich würde lernen, endlich den Mund zu halten und nicht jeden Gedanken vor diesem Mann auszusprechen.
„Nein. Sicher nicht.“ Er schwieg einen Moment. „Ich weiß, wie es war, Angelica“, fuhr er dann fort. „Mich haben sie auch festgehalten. Mehr als einmal.“
„Du weißt vielleicht, was Gefangenschaft bedeutet, Vampir. Aber du kannst nicht wissen, wie es ist, wenn deine Feinde dir dein eigenes Kind gleich nach der Geburt wegnehmen. Während sie dir sagen, dass du es nie wiedersehen wirst.“ Da traten mir Tränen in die Augen. Dieser
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