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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Rhiannon gelächelt. Fast, wäre da nicht der hartnäckige Schmerz mitten in ihrer Brust gewesen, für den sie keine Erklärung hatte. Sie hatte noch nie eine Vampirin kennengelernt, der es so peinlich war, über Sex zu reden, wie Tamara. „Mein Körper wäre fast explodiert, als er mich berührte“, sagte sie unverblümt. „Ich wollte ihn schon sehr lange, weißt du.“
    Da wandte sich Tamara ihr ganz zu. „Und warum sehe ich dann diese Traurigkeit in deinen Augen?“
    Rhiannon blinzelte und wandte sich ab.
    „Komm schon, Rhiannon. Wenn du nicht mit mir redest, mit wem dann?“
    Sie sah der jungen Frau abermals in die Augen. Nur ehrliche Fürsorge ging von ihr aus. „Mein Körper wurde befriedigt.“
    „Aber?“
    Rhiannon seufzte. „Es war fast, als wäre er allein, als er in mich eindrang. Fast so, als wäre ich gar nicht da.“
    Tamara nickte weise. „Du wolltest Zärtlichkeit, ein wenig kuscheln und reden. Ich verstehe.“
    Rhiannon zog die Brauen hoch. „Kuscheln? Wie kommst du denn auf so etwas, Kleines? Sehe ich für dich wirklich wie der Typ Frau aus, der kuscheln möchte?“
    Tamara grinste. „Er kommt schon noch darauf. Lass ihm Zeit.“
    Rhiannon hatte den Unsinn der jungen Frau satt, schlug die Decke zurück und stand auf. Ihr entging nicht, wie Tamaras Augen plötzlich groß wurden, ehe sie ihr den Rücken zudrehte. Unglaublich, dass jemand in Gegenwart einer anderen Frau so verlegen sein konnte. Rhiannon jedenfalls sah keinen Grund, verlegen zu sein. Sie ging zur Kommode, zog ein Paar Designerjeans heraus und schlüpfte hinein. Sie kramte eine Seidenbluse in leuchtendem, elektrisierendem Blau hervor und streifte sie über. Als sie die Onyxknöpfe zumachte, wandte sich Tamara ihr wieder zu.
    „Du gehst aus, nicht?“
    Rhiannon nickte. „Ja, und es nützt nichts, wenn du mir sagst, dass ich bleiben und mich ausruhen sollte. Ich bin unsterblich. Zugegeben, ich fühle mich gerade, als könnte eine steife Brise mich umwerfen, aber das geht vorbei.“ Sie kniete vor einem Schrank nieder und suchte nach einem Paar geeigneter Schuhe.
    „Eric und Roland sind in den Wald gegangen, gleich jenseits der Mauer.“
    Rhiannon drehte sich um. „Liest du meine Gedanken?“
    „Das muss ich nicht. Ich bin eine Frau.“
    Sie hatte zu lange geruht, sagte sich Rhiannon, während sie über die Wiese ging, wo Tau den Saum ihrer Jeans nässte. Ein kühler feuchter Wind strich ihr über das Gesicht, der Vollmond leuchtete ihr den Weg. Sie hatte nicht vor, Roland zu rufen oder ihn aufzuspüren, indem sie ihre Sinne auf seine einstimmte. Bestimmt würde er alles auf sich nehmen, ihr aus dem Weg zu gehen, wenn er wusste, dass sie nach ihm suchte.
    Am Wiesenrain sprang sie über die Mauer und betrat den dunklen Wald. Verkrümmte Bäume mit dunkler Rinde und Dornengestrüpp umgaben sie, aber sie ging unablässig weiter und war fest entschlossen, ihn zu finden. Was sie zu ihm sagen wollte, wusste sie nicht, nur dass sie etwas sagen musste. Tamara hatte unrecht! Sie wollte nicht kuscheln, aber sie wollte reden. Sie musste mit Roland reden. Noch wichtiger war: Er musste mit ihr reden.
    Der Geruch der Flüsse wurde umso stärker, je näher sie ihnen kam; ein zarter silberner Nebel reichte ihr bis zu den Knien. Verfaulende Zweige und Blätter verwandelten den Boden unter ihren Füßen in eine Art Schwamm. Sie sank mit jedem Schritt darin ein.
    Sie ließ sich Zeit, schlenderte langsam dahin, atmete tief durch und genoss jedes Aroma, das die Nacht zu bieten hatte. Nach und nach klang das Schwindelgefühl in ihrem Kopf ab, bis sie schließlich zu einem ausgetretenen Trampelpfad kam, der sich zwischen den Bäumen erstreckte. Sie folgte ihm und dem abstrakten Muster, das das Mondlicht auf den Boden malte. Die Ulmen schwankten in einem plötzlichen Windstoß und schienen zu stöhnen vor Qual … oder Ekstase. Ihr tiefer Tenor harmonierte mit der Sopranstimme der Brise, die hoch droben durch die dünneren Äste strich.
    Sie näherte sich einem schmiedeeisernen Tor mit einem verschnörkelten C zwischen den Gitterstäben. Es quietschte, als sie es öffnete. Der Wind schwoll an. Gewaltige Gliedmaßen teilten sich und tauchten den kleinen Friedhof in Mondlicht. Grabsteine, meist alt und verfallen, bildeten unregelmäßige Reihen. Fünf große und reich verzierte standen etwas abseits.
    Roland stützte sich mit einer Hand an einem Obelisken ab, der größer war als er. Ein Wappen unter zwei überkreuzten Schwertern zierte die

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