Erinnerungen der Nacht
seltsamerweise nicht zu seinen Füßen. Es schien, als würde sie auf einer spiralförmigen Flugbahn in völlige Schwärze stürzen.
Das Wissen, was er getan hatte, glich einer Messerklinge, die ihm durch den Nebel der Leidenschaft mitten ins Herz gebohrt wurde, als er sie in den Armen auffing und hochhob. Ihr Kopf sank nach hinten, das lange, satingleiche Haar fiel an seinen Beinen herab, als er sie ins Schlafzimmer trug und auf das Bett legte. Er strich ihr die ebenholzfarbenen Locken aus dem Gesicht und zog die Decke über ihren blassen Körper. Das Brennen, das er spürte, veranlasste ihn, die Augen zu schließen. Tränen waren das gewiss nicht. Er hatte keine mehr. Seit Jahrhunderten nicht. Was nützten einer Bestie Tränen?
Herrgott, dass er wirklich geglaubt hatte, er könnte den blutrünstigen Dämon in sich eines Tages überwinden, war ein Witz. Aber dass er den Beweis so drastisch vor Augen geführt bekam …
Er rief im Geiste nach Eric. Sie würde nicht sterben. Als er Sekunde für Sekunde rekapitulierte, wie er sie genommen hatte, wurde ihm klar, dass er nicht genügend Blut genommen hatte, sie zu töten. Aber möglicherweise hätte er es getan, wenn sie ihn nicht zur Vernunft gebracht hätte. In diesem Moment hatte sein Gehirn keiner Vernunft mehr gehorcht. Nur noch animalischen Instinkten. Das Gefühl, wie er sie mit seinem Körper besessen hatte, wie auf dem Höhepunkt sein Samen in sie einströmte, wie er sich an ihrem Blut gütlich tat – das alles hatte jegliches Moralgefühl aus seinem Denken verbannt und das Monster in seinem Innern befreit.
Er hörte, wie die Tür quietschend aufging, drehte sich aber nicht um. Stattdessen hielt er ihre reglose, schlanke Hand zwischen seinen und führte sie an die Lippen. „Es tut mir leid, Rhiannon. Herrgott, es tut mir leid.“
„Roland, was …“ Eric näherte sich schnellen Schrittes von hinten und blieb stehen. Roland ließ ihre Hand los und drehte sich zu seinem Freund um. Aber Eric sah nicht ihn an. Er richtete den Blick auf Rhiannons blasses Gesicht, dann auf die beiden Wundmale an ihrem Hals. „Was zum Teufel hast du getan?“
Roland machte den Mund auf, brachte jedoch keinen Ton heraus. Dann wurde er grob zur Seite gestoßen, als Eric zum Bett ging, sich darüberbeugte und Rhiannons Gesicht berührte. Roland wandte sich ab. Scham erfüllte ihn. Reue durchdrang jede Faser seines Wesens. „Ich wollte nicht – ich habe die Beherrschung verloren, Eric. Beinahe hätte ich …“
Eric packte Roland am Arm und zog ihn aus dem Raum. Er machte die Schlafzimmertür zu. Seine Wut glich einer Faust, und Roland konnte es ihm nicht verübeln. „Was hast du dir nur dabei gedacht? Wie konntest du zulassen, dass …“
„Ich weiß es nicht, verdammt!“ Roland ließ den Kopf hängen und drückte eine Handfläche an die Stirn. „Geht es ihr gut?“
Eric seufzte schwer. „Sie dürfte schwach sein, wenn sie aufwacht, und sich höchstwahrscheinlich beschissen fühlen. Sie sollte sich dann umgehend Nahrung zuführen. Alles in allem würde ich sagen, dass sie momentan in einer besseren Verfassung ist als du.“ Er schüttelte den Kopf. „Sag mir, was passiert ist, Roland. Das sieht dir gar nicht ähnlich.“
„Oh, keineswegs. Es sieht mir sogar sehr ähnlich.“
„Das ist lächerlich. Du bist der Mann mit der größten Selbstbeherrschung, den ich kenne.“
„Wirklich?“ Roland ging zum Kamin. Er sah in die glühenden Kohlen, atmete den stechenden Geruch des schwelenden Holzes ein. „Hast du dich nie gefragt, warum ich so ein stiller, zurückhaltender Zeitgenosse bin? Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich die diabolische Seite in mir verberge?“
„Ich weiß nicht, was du damit meinst.“ Eric kam näher.
Roland wandte sich ihm zu und zeigte mit einem ausgestreckten Finger zum Schlafzimmer. „Das passiert, wenn ich meine Selbstbeherrschung vergesse, Eric. Ob im Kampf oder in der Liebe, dann überkommt mich ein Blutrausch. Du musst endlich erfahren, dass dein bester Freund nichts anderes als das fleischgewordene Böse ist.“
Eric runzelte die Stirn. Er berührte Roland an der Schulter und drückte sie fest. „So habe ich dich noch nie gesehen.“
„Bisher hast du immer nur meine Maske gesehen, teurer Freund. Heute habe ich sie zum ersten Mal abgenommen. Vielleicht wäre es am besten, wenn du deinen Grünschnabel und den Jungen nimmst und so schnell es geht das Weite suchst, bevor ich euch alle anstecke.“
„Sei nicht albern.“ Eric
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