Erinnerungen der Nacht
über sein Gesicht wandern, dass er ihn fast wie eine Berührung spüren konnte. „Ich … ich dachte …“ Dann hob sie die Hände, ließ sie dem Pfad ihrer Augen folgen, berührte sein Gesicht, als könnte sie nicht fassen, dass er real war. Die Ketten klirrten bei jeder ihrer Bewegungen.
„Ich weiß“, flüsterte er. „Ich weiß. Ich habe nicht gewagt, dir zu antworten, da ich die übersinnlichen Kräfte dieses Mannes kenne.“ Er nahm eines ihrer Handgelenke, führte es von seinem Gesicht weg und brach die Handschelle mühelos entzwei. Als sie klirrend zu Boden fiel, nahm er sich die andere vor. „Hat er dir wehgetan, Rhiannon? Hat er dich angefasst?“
„Nichts … konnte mir mehr wehtun … als das Wissen, ich hätte … dich verloren.“
Sie sahen einander lange in die Augen, und Roland fragte sich, wie er die Liebe darin so lange hatte übersehen können. Er musste blind gewesen sein.
Da er nicht wusste, was er im Angesicht so starker Gefühle sagen konnte und was sie für sie beide zu bedeuten hatten, ließ sich Roland auf ein Knie nieder und zerschmetterte ihre Fußfesseln. Er spürte ihre Arme auf den Schultern, dann ihr ganzes Gewicht, als sie versuchte, sich von der Wand zu entfernen. Er hob sie hoch. Sie ließ den Kopf erschöpft an seine Schulter sinken, und er schloss die Augen vor wonnevoller Pein. Herrgott, es tat so gut, sie wieder in den Armen zu halten.
Eric warf den inzwischen bewusstlosen Lucien beiseite und stellte sich neben sie.
„Ich hätte ihn töten sollen“, murmelte Roland und sah zu dem Mann auf dem Boden seines eigenen Verlieses.
Eric zog die Stirn kraus und neigte den Kopf in Luciens Richtung. „Nur zu, mein Freund. Im Moment kann er sich nicht einmal wehren. Und da du stets behauptest, dass du so eine Bestie bist, macht es dir bestimmt nichts aus, wenn du dich über ihn beugst und ihm den Adamsapfel zerquetschst. Das dauert nur einen Moment. Na los. Ich halte Rhiannon so lange für dich.“
Roland sah auf Lucien hinab, dann zu der Frau in seinen Armen. Er konnte einen Menschen nicht kaltblütig ermorden. Im Kampf, ja. Es wäre ihm eine große Freude gewesen, auf Leben und Tod mit Lucien zu kämpfen. Aber nicht so. Er sah Eric seufzend an. „Ich nehme an, daraus kann man etwas lernen, mein Freund. Aber momentan möchte ich eigentlich nur Rhiannon hier wegbringen.“
Er ging durch das Gewölbe zurück und dann die verfallene Treppe hinauf. Lucien überließ er seinem Schicksal. Das war vermutlich ein Fehler, aber er konnte nicht anders.
Sie lag in seiner sanften, sicheren Umarmung, manchmal bei Bewusstsein, manchmal nicht. Von der eigentlichen Reise hatte sie kaum etwas mitbekommen, sondern wusste nur, dass sie nach scheinbar erstaunlich kurzer Zeit den großen Saal von Schloss Courtemanche betraten, wo sie jubelnd von Tamara, Jameson und Freddy begrüßt wurden.
Ein tiefes Knurren ließ Rhiannon nach unten sehen. Pandora, die Vorderpfote verbunden, kam zu der kleinen Schar gehinkt. Sie stellte sich auf die Hinterbeine, legte Rhiannon die unverletzte Pfote auf die Brust und strich mit ihrer kalten Nase über die Wange ihrer Herrin.
Rhiannon streichelte das Gesicht der Katze. „Pandora, mein Kätzchen, du bist zu Hause. Ja, ja, es ist schön, dich zu sehen, Süße.“ Sie küsste die Schnauze der Katze, dann scheuchte Roland sie weg.
„Wir haben sie unterwegs abgeholt“, sagte Tamara leise, kam so nahe heran wie die Katze und strich Rhiannon das Haar aus der Stirn. „Ich wollte, dass sie dich hier begrüßen kann, wenn Roland dich nach Hause bringt.“ Die junge Frau betrachtete sie stirnrunzelnd und besorgt. „Alles in Ordnung?“
Rhiannon lächelte bejahend, obwohl sie sich alles andere als in Ordnung fühlte. Durch die Nachwirkung der Droge fühlte sie sich zunehmend müder. Sie suchte Jameys Gesicht und streckte die Hand nach ihm aus. „Jameson. Ich hatte solche Angst um dich.“
Er sah zu Boden. „Es tut mir leid. Du wärst fast wieder getötet worden … meinetwegen.“
Sie schüttelte den Kopf, aber Roland wandte sich von ihnen ab und ging mit ihr auf den Armen den Bogenkorridor zu seinem Gemach entlang. „Wir haben später Zeit zum Reden. Jetzt muss sie sich ausruhen.“ Er sah ihr ins Gesicht, als er das sagte.
Sie sah in seines und wunderte sich über die Unsicherheit, die endlosen Fragen in seinen Augen. Fast schien es, als hätte er Angst vor etwas. Ein höchst ungewöhnlicher Zustand für jemanden, der so tapfer war. Augenblicke später
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