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Erinnerungen der Nacht

Erinnerungen der Nacht

Titel: Erinnerungen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MAGGIE SHAYNE
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Wenn Roland jenseits des Grabes etwas von ihr erwartete, dann, dass sie Jameson beschützte. Das letzte Geschenk, das sie ihm machen konnte, sollte das Leben des Jungen sein. Ihr blieb keine andere Wahl, als sich Luciens Wunsch zu beugen. Er würde sie töten, wenn es vollbracht war, daran hegte sie keinen Zweifel mehr. Sie konnte nur hoffen, dass es schnell und schmerzlos geschah.
    Ihre Schreie erreichten ihn auf halber Höhe des Berghangs. Roland hob ruckartig den Kopf, sein Magen krampfte sich zusammen, als er die Verzweiflung in ihrer Stimme spürte.
    Eric umklammerte seine Schulter fest wie mit einem Schraubstock. „Antworte ihr nicht.“
    „Bist du verrückt? Hör sie dir doch an …“
    „Das tue ich. Und Lucien zweifellos auch. Wenn du antwortest, ist er gewarnt und wartet auf uns. Er hat schon zu viele Trümpfe in der Hand, Roland. Diese Droge, Rhiannons Leben, Curtis Rogers’ Unterstützung. Es hätte keinen Sinn, ihn auch noch zu warnen.“
    Roland schluckte heftig. Rhiannons Schreie ließen nicht nach, er hörte den Kummer, die Tränen, die Qual. Herrgott, ihm war nie klar gewesen, wie viel ihr wirklich an ihm lag. Kein Wunder, dass seine unbedachten Worte sie immer wieder so verletzt hatten. Jetzt verfluchte er sich selbst, weil er ihr noch einmal wehtun musste, und schwor bei den Gräbern seiner Familie, dass er ihr bis in alle Ewigkeit nie wieder Schmerzen zufügen würde, und sollte es ihn das Leben kosten.
    Er schottete seinen Verstand ab; ihre Rufe machten ihn fast wahnsinnig und immer wütender. Er konzentrierte sich nur noch darauf, ihren Aufenthaltsort zu bestimmen und wandte sich schließlich in diese Richtung.
    Dann rannten sie durch die Nacht, bis Eric auf einmal schlitternd zum Stillstand kam und Roland am Arm packte. „Was Luciens Trümpfe angeht, habe ich mich geirrt. Sieh doch.“ Er zeigte eine steile Böschung hinunter.
    Tief unten lag das rauchende Wrack von Curtis Rogers’ Cadillac. Roland konzentrierte sich auf die Trümmer und sah Rogers’ verkohlte Leiche am Lenkrad.
    „Das war kein Unfall“, sagte er leise. „Er starb durch Luciens Hand.“
    Eric nickte zustimmend. „Dann hat Lucien also nicht die Absicht, Rhiannon dem DPI zu übergeben, wenn sie ihn verwandelt hat.“
    „Nein.“ Rolands Stimme klang grimmig. „Er hat vor, sie zu töten.“

Keith
    14. KAPITEL
    Sie umkreisten die Festungsruine zweimal auf der Suche nach Wachen oder Posten, ehe sie über die verfallene Mauer sprangen. Als sie den kahlen Innenhof durchquerten, verlangte es Roland nach einem Schwert, wünschte er sich nichts sehnlicher als den Kolben einer Armbrust an der Schulter. Ein Graben voll grünem Brackwasser, das voller Abfall zu sein schien und zum Himmel stank, umgab die Burg. Die Zugbrücke war hochgezogen.
    Sie sprangen Seite an Seite über den Graben und tasteten sich an der Mauer der Festung entlang, um eine Möglichkeit zu finden, leise einzudringen. Beide schirmten sorgfältig ihre Gedanken ab, sogar voreinander. Eine Mauer aus Stahl umgab ihre Aura. Lucien durfte nicht erfahren, dass sie kamen.
    Es war schwierig, denn Roland wusste, dass Rhiannon irgendwo hinter diesen verfallenen Mauern aus Stein gefangen gehalten wurde. Geschwächt, vielleicht unter Schmerzen. Wäre es ihr gut gegangen, hätte sie das Gemäuer längst in Stücke gerissen, und Lucien gleich mit. Ihre Geduld wäre am Ende gewesen.
    Schließlich gelangten sie zu einer kleinen Öffnung im Stein, einem Fenster, in dem nie eine Glasscheibe gewesen war. Roland kletterte hindurch und sah sich um, während Eric ihm folgte. Es handelte sich zweifellos um eine Ruine. Spinnwebförmige Risse und große Löcher durchzogen die Böden. In den kalten Mauern der Burg war es pechschwarz, doch mit seiner überragenden Nachtsicht bahnte er sich langsam seinen Weg durch baufällige Flure und dachte dabei nur an Rhiannon.
    Mit jedem Schritt wurde sein Herz schwerer. In ihrem normalen Zustand wären diese bröckelnden Mauern gewiss kein Hindernis für sie gewesen. Wie sehr er sich wünschte, er könnte sie in ihrem Zorn sehen, wie sie Lucien mit der schieren Kraft ihrer Wut in die Knie zwang. Er schloss einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. Wie hatte er nur jemals glauben können, er könnte diesen Wildfang zähmen? Sie war unbezähmbar. Genau das machte sie zu Rhiannon.
    Nachdem sie durch eine endlose Abfolge von Korridoren gegangen waren, kamen sie an eine Wendeltreppe aus Stein, die verfallen bis in die Eingeweide der Erde

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