Erkenntnis
die Stelle nicht aus den Augen.
Sie sieht Luftblasen aufsteigen und dann erscheint ein Kopf. Die Gestalt schwimmt genau auf die Insel zu, auf der sie sitzt.
Etwa dreißig Meter von ihr entfernt, erreicht sie das Ufer und kommt aus dem Wasser. Niamh sieht, dass es sich um einen seltsam verformten Mann handelt. Sie beobachtet, wie er zu einem Busch geht und ein Bündel hervorholt. Er schnürt das Bündel auf und beginnt sich anzukleiden.
Niamh erhebt sich und geht langsam auf ihn zu.
„Hallo ...“ sagt sie zögernd.
Der Mann fährt herum und schaut in ihre Richtung.
„Wer bist du und was willst du von mir?“ zischt er abweisend.
„Ich möchte nur mit dir reden.“
Langsam und vorsichtig geht sie weiter auf ihn zu, bis sie schließlich vor ihm steht.
Er mustert sie mit zusammengekniffenen Augen.
„Sieh mal an, Prinzessin Aodnait“, grinst er hämisch, „was verschafft mir denn diese Ehre?“
Niamh spürt die Abneigung, die ihr entgegen schlägt. Am Liebsten würde sie sich umdrehen und weglaufen. Aber vielleicht kann dieser Mann ihr helfen, das Feenreich zu betreten. Sie schluckt.
„Ich … ich wollte dich fragen, ob du mir helfen kannst.“
Er lässt sie nicht aus den Augen.
„Ich? Der ungewollte Wechselbalg, den man mal eben in der Menschenwelt abgelegt hat, soll dir, der Prinzessin der Feen, helfen? Verrätst du mir auch, warum ich das machen sollte, nachdem ich von euch Feen verstoßen wurde?“ Seine Stimme klingt bitter.
„Können wir uns setzen?“ bittet Niamh leise.
Er zuckt die Schultern.
„Von mir aus. Aber das bedeutet nicht, dass ich dir helfe, wobei auch immer.“ „Danke.“
Niamh setzt sich auf einen Stein und der Mann lässt sich ihr gegenüber auf dem Boden nieder.
„Ich bin Aodnait, aber mir wäre es lieber, wenn du Niamh zu mir sagst. Würdest du mir vielleicht verraten, wie du heißt?“
„Mein Name ist Padraig“, gibt er kurz zurück.
„Ich habe das Feenreich vor fünf Jahren verlassen und war seitdem nicht mehr dort, Padraig.“
Der Mann nickt: „Damit erzählst du mir nichts Neues, Prinzessin. Allerdings weiß niemand warum und wohin du gegangen bist, und ich weiß immer noch nicht, was du von mir willst.“
Der höhnische Unterton in seiner Stimme macht es Niamh schwer weiterzusprechen. Sie sieht vor sich auf den Boden und beginnt dann leise zu erzählen.
„Vor fünf Jahren sollte ich einem Menschen den Tod ankündigen. Es war das erste Mal für mich und ich war neugierig. Ich ging in die Menschenwelt um ihn zu sehen … und ich verliebte mich in ihn. Ich habe alle Regeln gebrochen, um herauszufinden, wie er sterben sollte … und ich verhinderte seinen Tod. Ich blieb in der Menschenwelt, wurde eine Menschenfrau und heiratete ihn. Wir bekamen eine kleine Tochter und ich habe es nie bereut.“
„Na dann ist doch alles in bester Ordnung. Du lebst als Mensch und bist glücklich. Aber es bleibt die Frage, was du von mir willst.“
Niamh zuckt zusammen, so kalt und abweisend klingen seine Worte. Sie hebt den Kopf und schaut direkt in seine Augen.
„Es geht nicht um mich. Mich hätten sie gerne bestrafen können … Aber sie haben Keelin bestraft. Meine kleine Tochter. Sie ist jetzt drei Jahre alt und sie hat noch nie einen Ton von sich gegeben. Ich wollte sie bitten den Fluch wieder aufzuheben, aber ich komme nicht mehr ins Feenreich. Bitte hilf mir, Padraig. Nicht für mich. Für Keelin … “
Sie verstummt.
Padraig schaut sie nachdenklich an.
„Ich soll dich also durch das Tor bringen … Ich werde es machen. Ich mache es für deine Tochter und um mich an denen zu rächen, die mich nicht haben wollten. Lass mich mal überlegen … Ich kann dich nur reinbringen, wenn das Tor nicht so streng bewacht wird. Also am Besten an einem Feiertag. Der Nächste wäre Ostara. Das ist in neun Tagen.
Komm dann wieder her. Aber bilde dir bloß nicht ein, dass ich es für dich mache. Nur für deine Tochter und für meine Rache!“
Damit steht Padraig auf und geht ohne ein weiteres Wort davon.
Niamh schaut ihm nach.Es dauert nicht lange und sie hört, wie ein Boot ins Wasser geschoben wird. In neun Tagen also ... Immerhin hat er versprochen, ihr zu helfen.
Nach einer Weile schwimmt sie zurück und läuft zu ihren Sachen. Schnell kleidet sie sich an und eilt nach Hause. Vorsichtig kriecht sie zu Aidan unter die Decke und kuschelt sich an ihn.
Müde schließt sie ihre Augen … In neun Tagen.
***
Am nächsten Tag sitzt sie mit Tallulah auf der Terrasse, nachdem Aidan zur Arbeit gefahren ist,
Weitere Kostenlose Bücher