Erknntnisse eines etablierten Herrn
neben dem Kissen lag, beschallte ihn die Stimme weiter. Ein Frühvergnügter — auch das noch! Aber wer? »Vor einer Stunde niedergekommen, heimgefahren, rasiert, und schon sitz ich im Büro. Tja, wir wollten uns doch sehen. Schlage vor, Sie besuchen mich! Gar nicht weit weg von Ihrem ehemaligen Atelier...«
Donicke!
Es war Donicke. Er nannte einen Firmennamen und die Adresse. Lukas möge vorbeikommen, wann immer es ihm passe. Am besten doch am Vormittag.
»Einverstanden«, hatte Lukas gesagt, sich umgedreht und noch eine Stunde in den Tag hinein geschlafen. Doch er hielt sich an die Verabredung. Gegen elf Uhr betrat er die Halle der unaussprechlichen Firma — eine unbegabte Zusammenziehung von Namen, die er weder behalten konnte noch wollte. Was die Firma herstellte, war deutlicher. Schaukästen an der Wand ließen keinen Zweifel darüber zu , daß hier Freizeitartikel produziert wurden, Gymnastikhilfen zum Ziehen, Drücken, Rollen, Beugen, Geräte gegen Muskelschwund, Haltungsschäden, Kreislaufschwäche, Herz- und andere Verfettungen, Sportartikel also, die zu keiner Sportart gehören und in Hypochondern, Sonntagsturnern, Speckmuttis, Kinderertüchtigern sowie auf ärztliches Anraten zuverlässige Kundschaft finden, Hinter sich die Schaukästen, saß er auf dem Besucherbänkchen aus Kunststoff (der die Hose an der Sitzfläche feucht macht), mit Ausblick auf das Empfangsbollwerk und das freundliche Fräulein dahinter, dem es nicht gelingen wollte, ihn telefonisch bei Donicke anzumelden.
Angestellte kamen vorbei, männliche und weibliche Kräfte, manche mit Ordnern, Mappen oder Schriftstücken in der Hand, manche rauchend. Einige grüßten, andere schritten mit Handtuch und Seife vorbei, was immer nahenden Arbeitssschluß anzeigt. Und alle brachten Betriebsklima mit, diesen Ruch von Kunststoff, Zigarette, Vorgesetzten, Kaffee, Witzeleien, Intrigen und Flirt. Lange durfte Lukas die Arbeitswelt genießen, einschließlich des altgedienten Bürokaktus im kiesaufgeschütteten Niemandsland zwischen zwei raumhohen Glasscheiben.
Immer wieder bemühte sich das freundliche Fräulein, wickelte dazwischen andere Gespräche ab, versah Papierbogen mit einem Stempel und sagte bei jedem neuen Versuch:
»Jetzt probier ich’s noch mal. Sie sind Herr...?«
Schließlich kam eine männliche Kraft, fragte Lukas, in welcher Angelegenheit er Herrn Donicke sprechen wolle, und brachte ihn zu einer weiblichen Kraft, die ihn fragte, in welcher Angelegenheit er Herrn Donicke sprechen wolle. Auch die nächste weibliche Kraft, zu der er geschickt wurde, fragte ihn, in welcher Angelegenheit er Herrn Donicke sprechen wolle, um ihm nach ausführlichem Hinweis auf die getroffene Verabredung einschließlich der alten Bekanntschaft zu eröffnen, Herr Donicke sei nicht im Hause und man wisse auch nicht, wann er wiederkomme. Seine Privatnummer, nein, die dürfe man niemandem geben, das habe Herr Donicke ausdrücklich angeordnet. Sefne Frage, ob er sich hier im Vorzimmer des Herrn Donicke befinde, bejahte die Kraft. Darauf ließ er ihm ausrichten, er sei in seinem Hotel zu erreichen, und er wollte gerade gehen, als eine gepolsterte Tür geöffnet wurde und dahinter eine dicke Hornbrille zum Vorschein kam.
»Dornberg! Na, klappt ja alles prima.«
Das alte Bubengesicht auf dem Rhombus strahlte, zwei Arme streckten sich ihm entgegen.
»Kommen Sie rein.«
Donicke entwickelte Veteranenbonhomie, klopfte Lukas immer wieder auf die Schulter, betonte, wie sehr er sich freue, und über die Sprechanlage, daß er jetzt nicht gestört werden wolle. Eigenhändig rückte er dem Besucher einen Ledersessel zurecht, prall und sperrig, wie aus lauter Doppelkinnen zusammengesetzt.
»Das ist mein Reich. Tja, dann wollen wir gleich in medias res gehen!«
Er öffnete eine lederbezogene Tür in der Mitte der Bücherwand, holte eine Kognakflasche und zwei Gläser heraus, schenkte ein, sich wenig, dem Besucher viel, schwang einen kurzen Schenkel auf die Kante seines Riesenschreibtischs und, mit hochgezogenen Ellenbogen, das Schwenkglas in Kumpanenpose.
»Prost, Dornberg!«
Seine Herzlichkeit war die Folge der Jahre. Früher, als sie beide noch um Selbständigkeit rangen, konnten sie einander nicht leiden. Auf einer Keramiktafel an der Wand hing der passende Spruch: Zeit eilt, weilt, teilt und heilt.
»Mann, haben Sie mir damals zu schaffen gemacht, um ganz ehrlich zu sein.«
»Sie mir auch, Donicke. Bei Ihnen hat immer alles geklappt.«
»Mann, aber Sie hatten
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