Erknntnisse eines etablierten Herrn
mich haben?«
»Nicht auf Bestellung«, hört er sich sagen, »so was braucht Zeit.« Der alte Vergleich mit der Blüte, die sich nur langsam entfaltet, steht abrufbereit wie die Feststellung, er sei zu alt für sie — lauter konventionelle Sätze. Was immer er jetzt sagt, es kann nur zu Komplikationen führen.
»Lassen wir das«, sagt er.
Andrea läßt es nicht, steckt wieder den Zahnstocher in die Löcher des Salzstreuers.
»Bei meiner Mutter hatten Sie’s. Jetzt verstehe ich. Ihnen hat sie alles zu verdanken.«
Wenn er jetzt nichts sagt, ist das Gespräch zu Ende. Er sagt nichts, schaut ihr zu, wie sie stochert, den Kopf in die Hand gestützt, und empfindet sie nicht mehr als Tochter der ehemaligen Geliebten. Da steht Andrea auf, ein wenig wackelig, wie ihm scheint, hält sich am Jongleur fest, der wie im Trickfilm plötzlich neben ihr auf taucht, sie mit der Linken am Unterarm stützt, während die Rechte den Unterteller mit der zusammengefalteten Rechnung auf den Tisch
schiebt.
»Gehen wir«, sagt sie. Lukas hat das linke Bein ausgestreckt und sich nach rechts geneigt, um die Klammer mit dem Papiergeld aus der Hosentasche herauszubekommen; der Jongleur dankt schon, als er den Schein sieht, tritt zur Seite und hinter dem Gast wieder an den Tisch, überholt das Paar, öffnet die Tür des Haupteingangs, dankt noch einmal, entschuldigt sich, daß es keine Musik gegeben habe, die Stereoanlage sei defekt, und bittet um baldige Wiederbeehrung.
Vorsichtig gehen sie über das Katzenkopfpflaster. Hier auf dem Platz hat Lilly ihm damals die Wagenschlüssel gegeben, nach ihrem ersten Besuch im Späten Schoppen, hier auf dem Platz legt er den Arm um Andrea, ein bißchen stützend, ein bißchen väterlich, ein bißchen probeweise. Auf der Treppe zur Tiefgarage legt sie ihren Kopf an seine Schulter. Dort bleibt er auch, als Likas am Schalter die Parkgebühr bezahlt. Im Flitzer nimmt er ihr die Schlüssel aus der Hand, stolpert in einen Kuß mit Frontalandruck, mag keine Abgasromantik in der Tiefgarage, macht sich los.
Es dauert, bis er sich zurechtfindet; alle Handgriffe liegen in der andern Hand, der Rückspiegel rechts statt links, jede Kleinigkeit muß er ins Kontinentale übersetzen. Die Straße ist leer um diese Zeit, er hat Platz zum Üben; Andrea sagt nichts, lehnt wieder den Kopf an seine Schulter. Denkend beim Schalten transponiert Lukas den dritten Gang von der linken in die rechte Hand, legt den Arm hinter ihr auf die Lehne, sie drückt den Kopf dagegen, sein Unterarm schwenkt ein, bis die Hand sie faßt. Ihre Linke tastet herüber nach der ersehnten Zukunft, während seine Linke die Gegenwart auf dem rechten Weg hält.
»Jetzt links. Und dann rechts!« sagt sie und schließlich: »So, da sind wir.«
Ihre Stimme klingt häuslich, er fährt an den Gehsteigrand, im Ausrollen zieht sie den Zündschlüssel ab, steigt aber nicht aus, liegt in seinem Arm, in seinen Händen, die jetzt frei sind, nichts mehr auf dem rechten Weg halten müssen. Er drängt und zögert zugleich; reichlich spät tut die Vernunft ihre Pflicht:
Finger weg! Laß dich nicht jünger machen, als du bist! Sie meint gar nicht dich! Sie meint den Liebhaber ihrer Mutter. Natürlich reizt sie dich. Aber du wirst hier an den Jungen gemessen! Das gibt eine Blamage oder, noch schlimmer, Komplikationen.
Unvermittelt schiebt ihn Andrea vom Mund weg.
»Scheiße! Bei mir schläft ja die Nora.«
»Wer ist Nora?«
»Ach, eine Freundin. Das Appartement ist sehr groß, aber eben nur ein Zimmer. Wir hätten gleich zu dir sollen. Los, dreh um!«
Er sieht sich mit ihr ins Hotel kommen, Männchen glotzen aus der Bar, in der Halle steht von der Vleuten und grinst, als sie zum Lift gehen, der Portier übersieht Andrea natürlich — Situationen, die er haßt, immer schon gehaßt hat, und aus einem dummen konservativen Gefühl heraus dem Mädchen auch nicht zumuten möchte.
»Nein«, sagt er, »ich bring dich jetzt an die Haustür und nehme mir da drüben ein Taxi.«
»Das kannst du? Jetzt?«
»Ich habe dir lang und breit erklärt, was alles dazugehört, aber du willst ja nur den Mechaniker.«
»Lukas!« sagt sie, »das find’ ich unwahrscheinlich gut von dir. Jedem andern wär das schnurz.«
Fünfter Tag
»Hallo, da bin ich wieder!«
Das konnte Lukas von sich nicht behaupten. Er hatte miserabel geschlafen, schlief erst seit fünf Minuten gut, bis dieser Mensch offenbar eigens hergekommen war, um ihn wachzurütteln. Aus dem Telefonhörer, der
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