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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Größte.
    »Endlich hat mal die Obrigkeit die Neurose«, raunt Lukas in Peters Ohr, »ein guter Schritt vorwärts.«
    Ines führt den Nachbebenden wie ein Rennpferd im Kreis herum, lobt ihn, fühlt den Puls, dirigiert die Beruhigung des Atems. Dann erst darf er zu seinen Kollegen zurück.
    »Mann!« keucht Herrmann schweißnaß. »Das müßt ihr auch mal probieren!«
    Plötzlich steht Daniela da. Eine müde Daniela. Sie hat ihr Pensum hinter sich, nimmt kaum Notiz. Ines beeilt sich, sie vorzustellen, was sich als unnötig erweist.
    »Wir kennen doch die Frau Abgeordnete.«
    Eilig ist Herrmann in seine Kluft geschlüpft, die ihn vom Volk trennt; die Männchen bauen ihre Männchen. Daniela dankt mit offiziellem Lächeln, hat sofort begriffen und findet das richtige Wort. auch die Zauberformel findet sie, aus dem Stegreif, in geringfügiger Abwandlung: Psychotherapeutisches Gymnastikstudio . Dabei handele es sich, wie sie durchblicken läßt, um eine der segensreichsten Einrichtungen in ihrem Wahlkreis.
    Entlastet strahlen die Männchen, erneute Handaufnahme an die Mütze:
    »Die Sache geht in Ordnung.«
    Und das heißt auf Amtsdeutsch: Fehlanzeige.
    Männlich-sieghafter Abmarsch.
    Im Scheinwerferlicht tauchte ein Schild auf: noch fünfzig Kilometer bis zur Stadt. Es war fast Mitternacht. Daniela stellte die Rücklehne flacher, drehte sich hin und her wie ein Hund im Korb, bevor er sich legt. Endlich hatte sie die bequemste Stellung gefunden.
    »Wenn ich bei den beiden war, komm ich mir manchmal albern vor, daß ich noch so lebe, wie ich lebe.«
    Das war ein neuer Ton bei ihr. Doch er wollte nicht mehr reden, sich mit niemand und nichts mehr auseinandersetzen, war der vielen Eindrücke müde, sehnte sich nach Hause, nach Suffolk, seine Ruhe haben und über das Spleen-Buch für sein Männchen nachdenken, das ein Lob des fundierten Unernstes werden mußte, ein Hohn auf Leistung. Darüber hätte er gern mit ihr gesprochen, übungshalber, um zu hören, was ihm einfällt. Doch sie hatte sich abgewandt und schlief.
    Nein, sie schlief nicht, drehte sich ihm zu.
    »Überall warst du«, sagte sie, »nur nicht bei mir.«
    »Du hast ja keine Zeit.«
    »Ich wills versuchen. Einmal möcht ich dich bei mir haben, bevor du wieder fährst. Ich ruf dich an, wann es geht. Ich koch dir auch was Gutes. Bitte komm!«
    Lag es an ihrer Stimme, daß sie ihn rührte? Im Schimmer der Armaturenbeleuchtung streckte er seine Hand hinüber, fand die ihre, drückte sie.
    »Natürlich komme ich.«
    Sie antwortete nicht. Ihre Hand lag in der seinen, ungriffig, ohne Ausdruck; ohne Betonung sagte sie:
    »Manchmal möchte ich weinen.«
    Umgehend fuhr er an den Straßenrand, legte den Arm um sie; Daniela weinte an seiner Brust. Und sie lud ab, Sätze, Satzteile, wellenweise, wie es ihr unregelmäßiger Atem zuließ: er habe recht gehabt. Warum tue sie sich das an? Mit abklingender Erregung verriet sie den Anlaß zu dieser Einsicht: Bei ihrer letzten Rede war sie ausgepfiffen worden. Ansonsten mache ihr das nichts aus, heute aber hätten die Leute so randaliert, daß sie nicht weitersprechen konnte. Sie mußte abbrechen und den Saal verlassen.
    Jedes Schluchzen beantwortete er mit Streicheln, tupfte mit dem Taschentuch nach Tränen, drückte sie an sich, bis sie sich mit einem Ruck auf richtete:
    »Entschuldige, ich war ein bißchen hysterisch.«
    Das ist nicht der Text, auf den er gewartet hat. Seine Arme reagieren selbständig.
    »Fahr bitte weiter!« sagt sie, als gelte es, die Amtsgeschäfte umgehend wieder aufzunehmen. Nicht mit ihm! Lukas ist nicht mehr Parteichauffeur. Er ist freier Wähler, wählender Freier. Der Frau Abgeordneten sind die Hände gebunden, der Mund verschlossen. Zu spät, sich zu wehren, bei solchem Volksbegehren. Schon bekommt sie den Wählerwillen zu fühlen, der zur Urne drängt, entschlossen, ihr seine seit Legislaturperioden ausstehende Stimme endlich zu geben.
    Nun mag ein Auto als Wahllokal für Jungwähler noch angehen, für die reiferen Jahrgänge ist es eine Zumutung, eine Tortur, wenn auch eine verjüngende, an leichtfertige Stimmabgabe erinnernde (damals, als man sich möglicher Konsequenzen noch nicht bewußt war).
    Und die können schrecklich sein! Ist das Wahlgeheimnis am nächtlichen Straßenrand nicht in unvertretbarer Weise gefährdet? Nicht Auszudenken, die Opposition parkte in der Nähe! Für Geheimnisträger ein sicherer Skandal. Doch die Frau Abgeordnete weiß nur zu gut, daß Entwicklungen von einem

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