Erknntnisse eines etablierten Herrn
viele, meist jüngere Leute gingen rein, dann würde man Schreie hören, und nach zwei Stunden kämen alle völlig erledigt wieder raus, manche mit blauen Flecken oder blutend. »Illustriertenphantasie« hat Ines gewitzelt, ohne Erfolg.
Peter muß wieder aufpassen. Ein neuer Kreis ist im Entstehen, um einen älteren Mann, der weint.
Die Beamten stehen wie Schaufensterpuppen. Bestimmungen laufen durch ihre Köpfe: Müssen sie eingreifen oder genügt Wegschauen? Geschehen muß etwas, so können sie nicht zurückkommen. Wenn Anzeige vorliegt, ist ein Bericht fällig, und das bedeutet: wissen, was man hinschreiben soll. Also was?
Sonst hört immer alles sofort auf, wenn die Polizei kommt. Ist das demnach verdächtig, wenn es nicht aufhört? Flaschen stehen keine rum, kein süßlicher Dunst hängt in der Luft. Da hinten liegt der ältere Mann am Boden und jault, und die andern sagen ihm Dinge, die sich kein Beamter sagen lassen würde. Wo Psychologie im Spiel ist, geht alles verkehrt. Also was?
Lukas beobachtet, sie wechseln Blicke, die Männchen in Uniform, Befehlsnotstand und Bildungsnotstand sind identisch. Vorerst siegt die Show: Das Mädchen mit dem orangefarbenen Fähnchen wackelt wieder mit allem, was angeblich den Sex ausmacht. Sechs Beamtenaugen kullern hinterher. Das wär’ was für die Kameraden! Einmalig. Sie grinsen, die Herren Beamten, sind auch nur Männer und warten auf Obszönitäten, die ja neben Haussuchungen zum schönsten gehören, was der Beruf zu bieten hat. Aber nichts. Also was?
Es geht weiter und doch nicht weiter, die Leute bewegen sich wie auf unsichtbaren Schienen aus Rhythmus. Im Zweifelsfall, steht in der Dienstvorschrift, muß der Beamte nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Ein schwerer Beruf! Wenn man kein Ermessen hat, fragt man am besten:
»Was geht hier eigentlich vor?« ‘
Die Frage gilt Lukas. Ines und Peter sind bei den Tanzenden, die weiterhopsen, wie Puppen. Lukas erklärt. Er kann’s am besten, weil er am wenigsten davon versteht und deshalb am verständlichsten spricht.
Wie in der Ehe sei das, sagt er, wo man manchmal die Salatschüssel an die Wand schmeißen möchte. Dreieiniges Beamtennicken: Salatschüssel — das ist ein Bild. Weil man’s aber dann doch nicht tut, wegen der Kinder, fährt Lukas fort, stapeln sich die Salatschüsseln mit der Zeit, innerlich, bis es eines Tages Scherben gibt.
Hinter den Beamtenstirnen herrscht Maulwurftätigkeit. Denkansätze stemmen Berge von Dienstvorschriften weg, bis das Licht des Begreifens hineinscheint. Jemand hat etwas gebrüllt, was laut Dienstvorschrift obszön zu sein hat, andere brüllen es nach, aber der Gemeinte schlägt nicht zurück. Da sehen die Männchen in Uniform einander an: Das kennen sie. Das ist wie ein Schulbeispiel aus dem Unterricht: man darf sich nicht provozieren lassen.
»Die Leute schreien hinaus, wonach ihnen gerade ist. Damit zerschmeißen sie ihre Salatschüsseln«, erklärt Lukas weiter. »Nachher gönnen sie zu Haus wieder friedlich sein.«
Einer nickt. Er hat ein Wort aus dem. Themenkreis Nummer eins aller Uniformträger aufgeschnappt — jetzt kennt er sich aus.
»Wenn man zur Frau sagt: Alte Sau! dann schmeißt sie einem die Salatschüssel an den Kopf; sagt man’s zu seiner Freundin, dann sagt sie: du bist heute so schön ordinär.«
Kollegenlachen. Leider paßt das Beispiel nicht in den Bericht. Es liegt aber Anzeige vor. Also was?
Ines kommt:
»Sie können mit gutem Gewissen melden, daß hier alles in Ordnung ist.«
Die Männchen in Uniform sehen einander an; Kollektiventschedung:
»Dazu ist es zu laut.«
Peter sucht die Logik.
»Was hat denn Lautstärke mit Ordnung zu tun?«
»Nichts. Aber mit Ruhe.«
»Lautstärke ist doch keine Ruhe.«
»Deswegen ist sie ja strafbar.«
»Vorausgesetzt, es wird jemand gestört.«
Die Männchen in Uniform nicken:
»Das ist Grundbedingung.«
»Hier wird aber niemand gestört«, sagt Ines. »Fragen Sie die Bauern. Die Scheune liegt abseits.« Peter drängt auf Einigung.
»Primär geht es darum gar nicht. Melden Sie Ihrer Dienststelle, daß hier gymnastische Gruppentherapie stattfindet. Ich bestätige das jederzeit, ich bin der Leiter.«
Blicke gehen hin und her, die besagen, daß immer, wenn Eloquenz ausbricht, Gefahr im Verzug ist.
»Und wenn das aber nicht so ist, wie Sie sagen, sondern Rauschgift?«
Peter lächelt beruhigend:
»Da können Sie unbesorgt sein. So leicht machen wir’s uns nicht. Und Ihnen auch nicht.«
Scherze
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