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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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setzen erfahrungsgemäß umgehend Dienstlogik in Gang. Dienstlogik ist eine Vorstufe von Logik, durch Lehrgänge pervertierter Menschenverstand.
    Mit Kopfbewegung zu den Tanzenden meint einer:
    »Die haben was genommen! So führen sich Normale nicht auf.«
    »Das ist eine Unterstellung, Herr Wachtmeister! So leicht können Sie sich’s nicht machen.« Ines streckt die Hände nach dem ältesten Beamten aus. »Ich werde es Ihnen beweisen. Kommen Sie!«
    »Sie, Fräulein, ich mach’ Sie darauf aufmerksam, daß Sie mich ernst zu nehmen haben! Das ist ein dienstliches Gespräch.«
    »Jeder Deutsche hat Anspruch auf Ernst.«
    Mit dieser Bemerkung erntet Lukas Zustimmung. In vollem Ernst. Der Älteste macht einen letzten Versuch mit demokratischen Mitteln.
    »Jetzt geben Sie doch zu, was Sie machen, damit die so werden!« Peter lächelt ihm zu.
    »Wenn Sie uns nicht glauben wollen, müssen Sie’s probieren.«
    »Soweit kommt’s noch, daß wir Ihnen die Hanswurste machen!«
    »Wir sind angeschuldigt und verlangen eine ordentliche Überprüfung. Das ist unser gutes Recht.«
    Ines streckt ihm wieder die Hände entgegen; der Älteste schüttelt den Kopf.
    »Nein, das geht nicht. Ich bin in Uniform.«
    »Dann ziehen Sie sie aus.«
    »Nein, das geht nicht. Ich bin im Dienst.«
    »Unter besonderen Umständen können Sie auch im Dienst die Jacke ausziehen«, bemerkt Lukas. »Wenn Sie zum Beispiel einen Ertrinkenden retten.«
    Auch er stößt auf Dienstlogik.
    »Retten ist was anderes als Tanzen.«
    »Fangen wir wieder von vorne an«, sagte Ines ruhig. »Das ist kein Tanzen, sondern Therapie. Davon sollen Sie sich überzeugen. Das müssen wir verlangen, sonst erstatten wir Anzeige wegen unsachgemäßer Behandlung des Falls.«
    Männchen in Uniform schaut zu Männchen in Uniform. Das ist der Punkt, sagen die Blicke, wo keine Dienstvorschrift mehr Auskunft gibt, wo man auf sich selber gestellt nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.
    »Probier’s«, Herrmann!« raten die beiden Jüngeren. »Wir sichern.« Unter Drohungen fällt die Uniformjacke. Aber Ines hat ihn schon, führt den im grauen Hemd mit Hosenträgern auf einmal Schwerfälligen zur Mitte, redet ihm beruhigend zu, er soll sich entspannen, nur Schritte machen, irgendwelche, nur im Rhythmus. Irgendwelche - damit kann der Beamte zunächst nichts anfangen. Nach einem Leben in genauen Dienstvorschriften ist irgendwelche zu viel. Aber sie hilft ihm, alle helfen mit bei der Abrichtung des Tanzbären. Anfangs hinkt er nach, tappt Synkopen, das schwere Kinn hängt wie der Greifer einer Planierraupe. Es kommt zur Kreisbildung, bewußt diesmal, um ihn einzubetten. Auch Peter und Lukas betten mit, erklären den sichernden Kollegen, was sie nicht sehen, damit sie nicht sehen, was sie sehen: den Vorgesetzten als lächerliche Figur.
    Wenn er außer Atem sei, sagt Ines, soll er an alles denken, was ihn ärgert, geärgert hat in letzter Zeit, soll es hinausstampfen, hinaussprechen, hinausschreien. Die Gruppe spielt Interaktion, schreit vor, um ihn aus sich herauszulocken, zieht den Kreis enger. Der Tanzbär hebt und senkt die Arme, als wolle er fliegen, gibt Laute von sich, zaghaft, dann Worte. Die Kollegen stehen da wie gegossen, Auf einmal geht es mit ihm durch. Er brüllt wie angestochen, brüllt das Leid seines Berufsstandes hinaus. Die Uniform ist es, die ihn bedrückt, überfordert, frustriert gegenüber Randalierern und Provokateuren.
    »Hampelmann!« brüllt er, »ich bin ein Hampelmann!«
    Da regen sich die erstarrten Kollegen wieder, wollen sichern. Aber wie sollen sie sichern? Was sollen sie sichern? Sie sehen einander an. Erst als sich ihr Kollege mit deutschnationalen Wunschbildern aufschaukelt, wollen sie eingreifen. Peter hat Mühe, sie zurückzuhalten, muß die Zauberformel >Psychologie< einsetzen, die echte Sorge, daß der Kamerad keinen Schaden nehme. Zögernde Männerschritte in Richtung Tatort.
    »Er ist in Trance!« warnt Lukas. Prompt bleiben sie stehen, Triumph in den Blicken. Einer der Ihren, ein Kamerad in Trance! Das übersteigt alle Erwartungen, wer das kann, der ist kein Hampelmann, der braucht sich selbst vor der akademischen Jugend nicht zu verstecken, die immer alles besser formulieren kann — Trance ist mehr als Student. So wirkt die Gruppentherapie auch bei ihnen, durch bloßes Zuschauen. Herrmann aber, der inzwischen auch seine Ehe ausgekotzt hat und seine Vorgesetzten, seinen Ältesten mit den langen Haaren — Herrmann ist der

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