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Erknntnisse eines etablierten Herrn

Erknntnisse eines etablierten Herrn

Titel: Erknntnisse eines etablierten Herrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Blechs vor ihm keine Ausweichmöglichkeit hatte, wurde Lukas bewußt, was ihm schon mehrfach aufgefallen war: daß in Deutschland ungleich mehr Frauen Auto fahren als in England. Allein in den ersten vier Reihen zählte er sieben Kleinwagen, in denen junge Mütter mit Kindern saßen, die sie, der Tageszeit nach, vom Kindergarten und von der Schule abgeholt haben möchten. In großen Wagen, chauffeurgepflegten Coupés und Kabrioletts, saßen Frauen ohne Kinder hinter dem Lenkrad, angetan mit Mützen, Hüten, Turbanen, Handschuhen, großen Unnahbarkeitsbrillen mit dunklen Gläsern und jenem uniformen Gesichtsausdruck, den Oberbeschäftigung mit sich selbst hervorbringt. Sie kamen vom Teuerkauf, von der Anprobe, vom Friseur. In frechen Flitzern, zerbeulten oder buntbemalten Altgefährten saßen Andreas, in unauffälligen Serienfahrzeugen Frauen und Mädchen, die beruflich unterwegs wären, und auch die Dame mit Chauffeur fehlte nicht, irgendeine Lilly im Statussymbol ihres Gatten. Denn so sehr die männliche Selbstherrlichkeit von der weiblichen Emanzipation auch bedrangt werden mag, das größere Auto ist noch immer fest in seiner Hand.
    Eine andere Fahrtrichtung wurde gestoppt, der Blechstau röhrte davon, hinterließ einen durchsichtigen Ball bleihaltiger Luft, den die Wartenden bei Fußgängergrün durchschreiten durften. Lukas atmete sparsam und wurde dafür auf der anderen Seite mit einer Dieselwolke belohnt, die ihn, aus einer Einfahrt abgeschossen, genau in dem Augenblick traf, als er wieder voll einatmete. Nun soll Diesel ja vergleichsweise gesünder sein.
    Der Gestank verlor sich nicht mehr. Nur die Quellen änderten ihre Zielrichtung von horizontal auf vertikal, von Auspuff auf Schornstein. Ein Tiefdruckgebiet drückte die Abgase der Ölheizungen auf das Wohngebiet, in welchem das Haus lag. Zwei Querstraßen weiter stand die Villa der Müller-Passavants.
    Wie sich herausstellte, paßte die Bezeichnung Villa auch auf das Haus des zufriedenen Unternehmers. An allen vier Ecken befanden sich Scheinwerfer, die Nachts Fassade und Garten erhellen, gleichsam als Warnung an potentielle Einbrecher, zur Sicherheit einen gelernten Elektriker mitzubringen, da im Innern mit weiteren Maßnahmen zum Schutz des angehäuften Wohlstandes zu rechnen sei.
    Er drückte den Knopf in der blanken Messingmuschel und wartete auf das Hausmädchen, das prompt öffnen würde, dem Aufwand entsprechend in Dienstkleidung, schwarz mit Schürze oder im blauweißen Krankenschwesterstreifenmuster. Aber er mußte noch einmal klingeln, und erst als er glaubte, sich in der Adresse geirrt zu haben (ein Namensschild war nicht vorhanden), öffnete das
    Mädchen, ein sehr kleines Mädchen, bunt angezogen, nicht zum Haus gehörig, sondern zur Familie.
    »Sind Sie Herr Dornberg?«
    »Ja, der bin ich«, antwortete er mit Onkelton.
    »Dann bin ich Anemone. Guten Tag.«
    »Guten Tag.«
    Er drückte die Kinderhand und nutzte sie als Hebel, um Anemone beiseite zu schieben, damit er eintreten konnte. Sofort schloß sie die Tür und deutete zur Ablage.
    »Da können Sie sich aufhängen.«
    Wie einer modischen Kinderbuchillustration entstiegen stand sie da, blondmähnig, stupsnasig, langer Hals und in der Kleidung für ihre jungen Jahre zu schick, »Du bist die Tochter?«
    »Eine.«
    »Und heißt Anemone. Ein schöner Name.«
    »Da rein!« Sie deutete auf eine der Türen. »Lutz kommt gleich.«
    Lutz konnte nur der Vater sein. Betont fortschrittliche Familie!
    Es gibt eine Grenze zwischen reich und Reichtum, die weniger durch Möbel, Teppiche, Bilder deutlich wird als durch Griffe, Schalter, Täfelungen, Spiegel- und Glastüren: Extraanfertigungen. Sie machen die Handschrift der Architekten aus, gegen die sich zu behaupten den Bewohnern oft nur durch Unordnung gelingt, durch hemmungsloses Sichausbreiten mit Gerätschaft und Krimskrams. In dem großen Raum, in welchem das Mädchen Lukas geparkt hatte, sah er die Selbstbehauptung der Bewohner gegen die Vornehmheits- und Ordnungsvorstellungen des Architekten glückhaft verwirklicht: Hier lebten Menschen mit Interessen und den Mitteln, ihnen mit modernsten Geräten nachzugehen; Menschen mit Kindern, Haustieren und Pflanzen. Ein zerbissener Hundekorb nahm der Glasschiebetür, neben der er stand, viel von ihrem Nobeleffekt, desgleichen die Leine an dem achteckigen Kristallgriff, an dem sie hing. Vor einer mit Mosaiksteinchen ausgepflasterten Nische stand eine Filmleinwand, körnig flimmernd wie grobes Schmirgelpapier

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