Erlebnisse eines Erdenbummlers
einiger Sicherheit annehmen, daß es auch das Richtige sein wird. Aber nun gehe einen Schritt weiter, gelehrtes Haus, und sag' mir, was ich zur Heilung des Schadens tun soll. Fällt alles gut aus, so werde ich dich zum Hofrat machen, wenn ich an die Regierung komme.«
»Was du tun sollst, mein Bester? Nichts einfacherals das. Du gehst zum Bandagisten hin und kaufst dir ein Bruchband. Den Taler, den du zum Geschäfte nötig hast, kannst du mir demnächst im Skat abgewinnen. So kommst du zum Gebrauch deiner Glieder, und alles wird in schönster Ordnung sein.«
Venedey schmunzelte befriedigt, erklärte, daß auch Stenger wortwörtlich das gleiche vorgeschlagen habe, und verließ mit einem huldvollen Gruße meine Bude.
Daß sich infolge unserer Verordnung der Lebenswandel Venedeys geändert hätte, konnte weder durch Stengers noch durch meine Beobachtung konstatiert werden. Er spielte, raufte und soff wie immer, und auch sein Hinken hatte sich nicht gebessert. Im Gegenteil, in Gestalt eines Knotenstocks hatte sich der Übermensch ein drittes Bein zugelegt. Wenn er aber einmal den Fuß gegen einen Stein stieß, so verzog er schmerzvoll das Gesicht.
Na, was soll ich viel noch reden. Eines Tages war der Michel wieder auf meiner Bude, um mir rückhaltlos zu erklären, daß meine Verordnung nichts genützt, sondern im Gegenteil den Zustand nur verschlimmert habe. Diese Eröffnung war betrübend, weil mit ihr der versprochene Hofrat im blauen Dunst verschwand, aber ich fühlte, daß ich mich nicht verblüffen lassen dürfe. Ich ließ mir zunächst einmal das Bruchband zeigen. Mit Kennermiene prüfte ich seine Feder, indem ich eifrig darüber nachsann, ob ich nicht die Schuld am Mißerfolge dem Instrumentenmacher in die Schuhe schieben könne, und mit gut geheucheltem Unmut fing ich an zu schimpfen:
»Na was dem Tölpel denn nur eingefallen sein mag. Er muß doch gesehen haben, daß er keinen Bauernrammel vor sich hat. Diese Feder wäre recht in einer Bärenfalle, nicht aber auf dem Körper eines Kulturmenschen. Weißt du was, mein Lieber, lege zu den bereits bezahlten drei Mark zwei weitere zu, und du wirst im Besitze eines englischen Bruchbandes sein, das deine Beschwerden von dir nehmen wird, wie die Morgensonne den Junireif.«
Venedey lächelte befriedigt, und indem er erklärte, daß Stenger ihm ganz die gleiche Auskunft gegeben habe, verließ er das Zimmer.
Einige Tage noch sah man den Unbezwinglichen im Theatercafé um das Billard hinken, dann erblickte ihn keiner mehr. Ein verstohlenes Nachforschen nach seinem Verbleib förderte die Tatsache ans Licht, daß er im Juliusspital Aufnahme gefunden hätte. Stengers Gewissen muß nicht minder schlecht gewesen sein wie mein eigenes. Er nahm den Namen Venedey nicht in den Mund, und damit auch ich es nicht tun konnte, vermied er es, mit mir am gleichen Tische zu sitzen. So ging hangend und bangend in schwebender Pein eine Woche hin, als sich das Gerücht verbreitete, der Michel sei an einem Karfunkel des Oberschenkels glücklich operiert worden. Welch ein vernichtender Schlag für uns zwei junge Mediziner!
Wollte sich denn zwischen Hernia und Karfunkel gar kein innerer Zusammenhang herstellen lassen? Nein, es ging schlechterdings nicht. Die Schüssel voll Eiter, diesich beim Einschnitt entleert haben sollte, sprach ein zu vernichtendes Urteil aus über meine und Stengers Kenntnisse. Es war schrecklich. Um unsere Schamröte zu verbergen, hätten wir in einen Brunnenschacht hinabspringen müssen. Ich meinerseits ging nur noch des Abends aus und da nur in Wirtschaften, wo ich hoffen konnte, keinen Bekannten zu finden. Eigentlich hätte ich ja einmal ins Spital gehen und meinen kranken Freund besuchen müssen, aber ich fand den Mut nicht dazu, ebensowenig wie der Stenger. Meine stille Hoffnung war, daß mein Staatsexamen einen gedeihlichen Fortschritt nehmen und ich aus Würzburg fort sein möchte, wenn der geheilte Löwe wieder in der Arena erschiene. Leider erfüllten meine stillen Wünsche sich nicht.
Bis zur Augenheilstation war ich in den Fachprüfungen vorgedrungen. Nun konnte es nicht mehr fehlen. »Der alte Reichsritter läßt keinen durchfallen,« das war ein Glaubenssatz der Studentenschaft, an dem zu zweifeln eine Todsünde gewesen wäre. Wer war der Reichsritter? Der Leser soll es alsbald erfahren. Er hieß von Welz, hatte die kugelrunde Gestalt einer Flunder und stammte aus einem alten österreichischen Adelsgeschlechte. So viel man sehen konnte, wandelte er in
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