Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
Vom Netzwerk:
natürlich diejenigen, denen von den anderen Ärzten Mahnbriefe ins Haus geschickt worden waren. Doch ich wußte das nicht so und nahm zu meinen Gunsten an, es müsse meiner Person irgendein glänzender Strahl von einer geheimnisvollen Ruhmesaureole vorausgegangen sein.
    Meiner Wohnung gegenüber hauste ein jüdischer Getreidehändler, bei dem die Bauern aus dem Odenwald vorsprachen, wenn sie ihre Kreszenz verkaufen wollten. Auch dieser Umstand kam mir zugute. Er trug meinen Namen in die entlegensten Bauerngüter hinaus, wo er übrigens durch meinen Vater zu besserem Glanze gekommen war, als ich ihm zu geben je vermocht hätte. So waren denn die Ferientage meines Gaules bald herum. Er stand wieder, wie hinterm Donnersberg, unterm Sattel und trabte mit mir in den Odenwald hinaus. Beersbach, Hilsenhain, Lampenhain und andere Seeplätze waren es, in denen meine Praxis blühte. Gerne verweilte ich bei den einfachen Menschen, deren Eigenart mir von Kindesbeinen auf bekannt war, und die auch mich so ganz und gar nicht als einen hereingeschneiten Fremdling nahmen. An ihren Apfelwein gewöhnte ich mich rasch, und für den Wohlgeschmack ihres Schüsselkäses hätte ich einige Wochen von der bestimmten Zahl meiner Lebensjahre hingegeben und täte es heute noch. In diesen entlegenen Dörfern herrschte nämlich noch die alte Sitte, daß dem Arzte bei seinem Besuche jedesmal ein Imbiß vorgesetzt wurde. Sie stammte aus einer Zeit, wo die Wirtshäuser noch keine Landplage waren.O, wie wir damals gelebt haben, mein edler Gaul und sein Herr! Während ich nämlich im Zimmer saß und kaute, tat er das gleiche im Hofe drunten an einem Kleehaufen oder vor einem Futtertrog mit Hafer, den eln Knecht ihm vors Gebiß geschoben hatte.
    Als ich wieder einmal so in Beersbach saß und tafelte, kam von Steinach der Röhrig herein, ein Blutvergießer, wie es keinen größeren mehr geben konnte, denn er war Dorfbarbier. Wo seine Messer schabten, flogen nicht nur die Haare aus den Gesichtern, sondern es sprangen auch rote Quellen auf aus Bauernbacken. Er leerte heute seinen Rasierbeutel hin über den Tisch und hing den Streichriemen am Fensterriegel auf. Während er nun so sein Messer schärfte, sagte er verloren über die linke Schulter hinweg: »Am Jöstebauer zu Wünschmichelbach werd' ich heute den letzten Groschen verdient haben. Er ist für die Ewigkeit rasiert. Ja, wenn einer da wäre, der operieren könnte! Zu Darmstadt im Landkrankenhaus, da haben wir manchen durchgebracht, der schlimmer dran war als der Jöst trotz seiner vierundachtzig Jahre!«
    Ich horchte auf. Der Barbier merkte etwas und fuhr mit Eifer fort: »Was wir Leute vom Fach einen eingeklemmten Bruch nennen oder Incaceration ist nichts wie eine Verschlingung von Därmen. Man schneidet ein, legt die Kutteln zurecht, die Winde finden ihren Weg und der Patient ist gerettet.«
    »Er redet, daß du's hören sollst,« dachte ich bei mir, legte Messer und Gabel fort und bestieg meinPferd. Ich ritt über die Höhe und konnte bald das Gorxheimer Tal hinunter auf die Ruine Windeck sehen. Die Sonne war am Untergehen, hielt aber die Gipfel der Berge noch in einem guten Licht. Ein Wäldchen war zu durchreiten.
    Dann sah man auf der rechten Seite in einer grasbewachsenen Mulde den Hof des kranken Jöstebauern liegen. Die Giebelfenster spiegelten den roten Abendhimmel fröhlich wider und sahen nicht so aus, als ob hinter ihren Scheiben einer läge, der den nächsten Morgen nicht mehr schauen solle. Absichtlich nahm ich meinen Weg vom Pfade ab, so daß ich eine Bergwiese überqueren mußte. Ich dachte mir: »Ein Retter kann in dem Hause mit den vorhanglosen Fenstern nicht unbemerkt bleiben. Irgend jemand wird ihn sehen, und man wird einen Familienrat zusammenrufen und fragen, wer es sei. Die Bäuerin war gewißlich mit ihrer Butter auf dem Wochenmarkte zu Weinheim gewesen und in großer Gesellschaft nach Hause gegangen. Sollte da nicht zufällig die Rede auch darauf gekommen sein, daß im Städtle ein neuer Doktor wäre, wie die Welt noch keinen gesehen habe, fingerfertig wie ein Taschendieb und geschickt wie nur je ein Hexenmeister?«
    Ich hatte nicht falsch kalkuliert. Als ich tiefer ins Tal herunterkam, stand am Wege einer, der die Mütze nicht auf dem Kopf, sondern unterm linken Ellenbogen trug. Er wünschte einen guten Abend und fragte, ob der Herr da auf dem Pferde der neue Doktor sei.
    Als ich bejahte, sagte er bescheiden: »Der Röhrigwar da und hat gemeint, wenn so ein richtiger

Weitere Kostenlose Bücher