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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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Kriege war ja damals noch nicht dagewesen und hatte die menschlichen Gefühlsnerven verkalkt wie Quarzadern im Porphyr.
    Und doch im Zimmer lief einer auf und ab, der von dem traurigen Vorgang wenig berührt schien. Er hatte die Hände mit Handtüchern fest umwickelt und gab zuweilen kurze Anweisung, was mit dem Vieh zu geschehen habe, das sich ohne Aufsicht in den Ackern und Wiesen herumtrieb.
    »Ist das etwa der Mann der Sterbenden?« fragte ich einen der Umstehenden und erhielt durch Kopfnicken die Bestätigung meiner Vermutung. Im selben Augenblick trat der Pfarrer mit dem Sanktissimum in die Stube. Ich begrüßte sein Erscheinen wie eine Erlösung. Denn, um es nur offen zu gestehen, ich wußte mir keinen Rat, was ich mit dem Rest von einem Menschen anfangen sollte, der da zu meinen Füßen lag. Ich drückte mich also schweigend zur Türe hinaus, und die Leute folgten mir der heiligen Beichte wegen, die keine Teilnehmer duldete.
    Im Hofe wartete ich zwischen betenden Frauen, bisder geistliche Herr wieder zum Vorschein kam. Der gute Mann schien mir von dem, was er gesehen, tief erschüttert, und doch – es lag in seinem Gesicht etwas, was wie Verwunderung aussah und zu fragen schien, ob niemand da sei, der in menschlichen Verhältnissen besser Bescheid wisse als er selber. Kaum daß ich mich ihm als Arzt vorgestellt hatte, so zog er mich am Rockärmel auf die Seite, um mir mit Flüsterstimme die Frage vorzulegen: »Haben Sie schon mit dem Manne der Sterbenden gesprochen?«
    »Nein,« sagte ich, »ich will warten, bis die Ärmste da drinnen ausgelitten hat.«
    »Sie werden einen merkwürdigen Heiligen an dem Hofbauer kennen lernen. Denken Sie nur, als ich jetzt oben einige tröstliche Worte an ihn richten wollte, unterbrach er meine Rede mit der Frage: ›Können Sie, Herr Pfarrer, sich noch an die Kaffeekannen mit den goldenen Rändern erinnern von der letzten Kindstauf her?‹ Ich nickte, und er fuhr fort: ›Sie waren doch schön, nicht wahr? Denken Sie, und die sind auch verbrannt.‹«
    Der Pfarrer und ich sahen einander voller Staunen an und keiner wußte, was er sagen sollte, als plötzlich ein lautes Weinen der Umstehenden einsetzte und verkündete, daß die Seele der Schwergeprüften den Weg aus dem Körper gefunden habe.
    Ich wartete noch ein wenig und ließ dann den Mann der Toten zu mir in ein Nebenzimmer rufen. Kunstgerecht verband ich seine stark verbrannten Hände, und als ich eine Pfeifenspitze aus der Innentasche seinesWamses herausgucken sah, so erlaubte ich mir die Bemerkung: »Sie sind nun verbunden, mein Lieber, und ich hoffe, Sie werden bald wieder die Hände gebrauchen und die Pfeife rauchen können.«
    »Die Pfeife rauchen, wieso denn?« gab der Bauer staunend zurück. »Rauchen, ja was denn aber? Ich hatte noch ein frisches Päckel Tabak, als das Feuer kam.«
    »Der Tabak wird mit verbrannt sein,« bemerkte ich.
    »Verbrannt? Im Leben nicht! Ein Spitzbub von den Feuerwehrleuten hat es zu sich gesteckt. Ich wollte eine Sommergans drauf verwetten, und wenn's sein muß einen Scheffel Welschkorn zum Fettmachen.«
    »Wenn Deutschland einmal einen Nero braucht, so kann ich ihm den besorgen,« dachte ich bei mir, bestieg den Wagen wieder und ließ mich heimwärts kutschieren.
    Zu Trösel fuhr ich am Rasierer Röhrig vorüber. Natürlich wußte er längst, daß es im anderen Tale gebrannt hatte und auch bei wem, und er wollte von mir nur wissen, ob der Bauer noch am Leben sei. Als ich das bestätigte, sagte er traurig: »Schade dafür! Das Sohlleder wäre abgeschlagen, wenn unser Herrgott den und seine großen Füße zu sich in den Himmel genommen hätte.«
    Ich dachte über die Worte nach und fuhr in den Abend hinein.
    Beinahe einen ganzen Tag hatte ich in Weinheim gefehlt, und ich hatte manchen enttäuscht, der in der Sprechstunde auf mich wartete. Waren das nun allesPatienten gewesen? Keineswegs. Es waren Vereinsvorstände, die mich zum Beitritt in den Pfeifenklub, in den Sing-Sang- und Bruderverein, in die Tauben-, Kaninchen- und Blutegelgenossenschaft zu keilen bestrebt waren.
    Ich trat natürlich überall ein und bezahlte bald mehr Beiträge als Hausmiete. Auch im Kasino wurde ich Mitglied, und da ich oft und ausgiebig im Skat zu verlieren pflegte, so war ich wegen dieser Eigenschaft in dem erlauchten Kreise mehr geschätzt als im Kirchengemeinderat. Außer im Kasino saß ich aber auch des öfteren im »Goldenen Schaf«, wo die Gebrüder Köhler meine Gesellschaft waren, oder beim

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