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Erlebnisse eines Erdenbummlers

Erlebnisse eines Erdenbummlers

Titel: Erlebnisse eines Erdenbummlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Karillon
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geflossen und zwar von des Schusters Beinen. Doch es war auch das nicht gar zu schlimm. Die Bahnwartsfrau gab Kinderwickeln her, und Patient und Arzt gingen langsam dem Pferde nach und erreichten gleichfalls Rockenhausen.
    Der Aberglaube der Gegend zog aus dem Ereignis neue Nahrung und wer es vorher noch nicht geglaubt hatte, schwur von jetzt ab, daß der Geist des Selbstmörders im Erlengebüsch der Alsenz hause und mit allerlei Schabernack den nächtlichen Wanderer plage. Sage keiner nein. Am Doktor gar hatte es sich bewahrheitet, daß es Geister gibt, und daß sie sich unterschiedslos über die Menschen hermachen wie die Raupen übers Kappeskraut.
    Ob ich nun endlich einen neuen Wagen anschaffte, wird der Leser wissen wollen. Nein, ich dachte nicht daran. Mehr als drei Jahre saß ich nun inRockenhausen und was hatte ich verdient? Es ist zum Lachen, wenn ich sagen muß, daß ich nicht einmal viertausend Mark auf die Sparkasse gebracht hatte, obwohl in den ersten zwei Jahren in der ganzen Gegend der Typhus herrschte, als ob er sich extra vorgenommen hätte, nicht eher zu ruhen, als bis er mich zum reichen Manne gemacht habe. Und wie hatte ich ihm dafür gedankt? Ich hatte ihn, der mein guter Arbeitgeber war, an die Wand gedrückt. Nun saß ich da und konnte mit Goldfischen hausieren gehen, wenn ich nicht verhungern wollte. Das Jahr 83 zeichnete sich durch epidemische Gesundheit aus und setzte mein Monatseinkommen auf weniger als hundert Mark herunter, bei einem Familienstande von bereits vier Personen. Daß da die Augen meines Lebenshungers wieder über Deutschlands Grenzen ins Ausland hinüberstarrten, wird man begreiflich finden. Aber ach, ich war ja so beweglich nicht mehr, wie vor drei Jahren noch. Zwei Kinder und eine Frau hingen an meinen Schultern und hinderten den Hochflug meiner Wünsche.
    Wie mir dies Gebundensein in kleinbürgerlichen Ketten unsagbaren Kummer bereitete! Ich mußte schon an Weidigs Kerker in Rastatt denken, wenn ich meinen Zustand noch erträglich finden sollte. Wenn ich nur den Wind hörte, die Zugvögel sah, wurde mir das Herz schwer. Drei Handwerksburschen, die an einem Kreuzweg saßen und das Brot teilten, das sie im Dorf erbettelt hatten, erfüllten meine Seele mit Neid, weil ich mir denken mußte, wenn sie ausgeruht haben, dann kann jeder von ihnen von den vier Wegen hier wählen, welchener will, ich aber muß an jedem Abend, der uns die Sonne stiehlt, nach Rockenhausen zurück, nach Rockenhausen und immer wieder nach Rockenhausen! Doch auch damit sollt' es ein Ende haben.

»Muß i denn, muß i denn zum Städtele 'naus«

    ährend ich scheinbar fest mit beiden Füßen im bürgerlichen Alltag begraben war, hatte mein Vater sich von den Geschäften zurückgezogen und lebte von einer Pension in Weinheim, so viel ich wußte, zufrieden und in leidlicher Gesundheit. Da kam eines Tages ein Brief von meiner Stiefmutter, der mir meldete, daß der Vater krank und in ärztlicher Behandlung sei. Ich reiste sofort, um ihn zu besuchen, und ich lernte an seinem Krankenbett den Doktor Roder kennen, einen Mann von düsterem Aussehen, mit langem Vollbart, aber einem klaren Auge, aus dem ein scharfer Verstand sprach. Als Kollege ward ich bald mit ihm vertrauter und ich erzählte ihm, wie mich die kleinen Verhältnisse meines jetzigen Aufenthaltes niederdrückten. »Sie sollten nicht säumen,« sagte er, »und machen, daß Sie dort wegkommen. Augenblicklich bietet sich hier im Städtchen eine gute Gelegenheit zur Niederlassung. Ein Doktor Nebel ist hoffnungslos erkrankt, und da doch ein anderer Arzt an seine Stelle kommt, so ist es mir persönlich lieber, Sie kommen als irgendein wildfremder.«
    Dieser Rat meines Kollegen wurde zunächst zwischen meinem Vater und mir und am folgenden Tage zwischen meiner Frau und mir eifrig besprochen. Wir kamen schon fast zu einem Entschlusse, als uns abends vor Mattigkeit die Augen zufielen. Als wir aber am nächsten Morgen die Augen aufschlugen, wußte jedes von uns, was zu tun sei, und wir fingen an zu packen. Um acht Uhr schon trugen die Schreiner das erste Möbelstück nach dem Bahnhof. Nur eine Nacht schliefen wir noch in Rockenhausen. In der Morgenfrühe fuhr meine Frau mit den Kindern von der Station ab. Ich aber kehrte noch einmal ln die leere Wohnung zurück, um nachzusehen, ob auch nichts versehentlich zurückgeblieben sei. Wie ich so nach meinem Sprechzimmer zugehe, fand ich die Tür weit offenstehend und einen kleinen Säulenofen verdeckend, der nebst

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