Erlebnisse eines Erdenbummlers
sie nur konnte: »Herein also, wenn's nit grad en Kerl ist, der Geld will.«
Unwillig wollt' ich aufspringen und das Untier beim Schopfe fassen, da rannte ich wider meinen Freund Weidig.
»Nun bin ich aber starr,« schrie ich auf, »Weidig, wo kommst du denn her?«
»Well,« sagt er, »aus Amerika, und ich hab' auchmeine Frau mitgebracht. Gleich wird sie antanzen. Ich bin ihr ein paar Schritte vorausgegangen, um dich zu bitten, daß du mir nichts von Rastatt redest. Daß ich da gesessen und warum, das weiß sie ja, aber daß ich von dort weg bin, ohne begnadigt zu sein, das braucht sie nicht zu wissen. Sie könnte unruhig werden, wenn sie sich vorstellen soll, es käme eines Tages ein Polizist, der mich wieder nach der Festung brächte.«
»Keine Sorge, alter Freund. Übrigens, du siehst nicht so aus, als ob es dir schlecht ginge. Für deine amerikanische Busennadel da kannst du dir ein deutsches Bauerngut kaufen.«
»Na, es mußte doch auch einmal kommen. Das Schicksal hat mich überm Heringsteiche drüben ein wenig dafür entschädigt, daß es mich hier gepiesackt hat. Als ich kaum den Boden New-Yorks betreten hatte, fand ich eine Stelle in einer chemischen Fabrik zu Newark, und diese Fabrik ist heute die meine, dem Himmel sei's gedankt und der kleinen Frau, die du gleich sehen wirst.«
Frau Weidig war inzwischen gekommen. Sie war eine jugendliche Erscheinung mit bleichem, aber freundlichem Gesicht. Um ein Gesprächsthema verlegen, fragte ich, an welchem Hafen die Herrschaften ans Land gegangen seien.
»In Neustadt« entgegnete Frau Weidig munter und sah mir forschend ins Gesicht.
›Da schau einer,‹ dachte ich bei mir, ›die Importierte da will dir mit ihren Kenntnissen im Griechischen imponieren. Nun mal nicht verblüffen lassen.‹ Ichsetzte also, ohne stutzig zu werden, die Unterhaltung mit den Worten fort:
»Haben Sie auch hinter Neustadt den Vesuv erstiegen?«
» Yes, Mylord, und von da sind wir durch die Volsker Berge nach Rom gegangen.«
»Und haben das vatikanische Museum besucht. Wie hat es Ihnen gefallen?«
»Nicht allzusehr. Es liegt da zuviel Staub herum. Man sieht eben, daß der Papst keine Frau hat.«
»Was sagst du, Freund, zu meiner Kleinen da?« mischte sich Weidig in die Unterhaltung. »Sie ist übers Meer gekommen, um Europa umzugestalten.«
»Sie fängt ihr Geschäft am richtigen Ende an. Vieles bei uns wäre schon gebessert, wenn der Papst eine Frau hätte. Übrigens, alter Büchsier, wie hast du dich an den Onkel Jonathan, seine Sitten und Gebräuche gewöhnen können?«
»O ich bin fast nur von Germanen umgeben. Die meisten meiner Arbeiter sind Süddeutsche sogar, und meine Skatbrüder sind deutsche Akademiker. Wir treffen uns regelmäßig in einem Restaurant des Castelgartens. Der Nicklas ist der Hauslehrer meiner Kinder, und denke doch nur, der Kapitän Dettweiler, du erinnerst dich doch noch, in welch' genialer Weise er seinerzeit den Schulrat Soldan und seinen eigenen Vater zu Darmstadt aus dem Sattel gehoben hat, besucht mich, wenn sein Schiff im New-Yorker Hafen liegt. Übrigens für heute genug davon. Wir haben sonst noch Besuche zu machen.«
Weidig blieb einige Tage in Weinheim. Als er weiterreiste, versprach er mir, in zwei Jahren wiederzukommen. Dieses Versprechen hat er nicht gehalten. Der Tod hat seinem Erdenwallen ein Ende gemacht. Durch seinen Hauslehrer Nicklas erfuhr ich, daß Weidig, auf einer Erholungsreise begriffen, aus einem Hotelfenster gestürzt und zerschmettert vom Straßenpflaster aufgelesen worden sei. Merkwürdig, daß der Sensenmann am Hudson-River auf eine Beute wartete, die er doch zu Gießen im elterlichen Schlafzimmer mit so leichter Mühe hätte haben können.
Ich trauerte gebührend um meinen Freund, ohne mich übrigens von der Gesellschaft der Rundbrenner und deren Jagd- und Schlachtfesten fernzuhalten. Was wäre ohne sie für mich der lange Winter gewesen – für mich, der ich über Tag durch die verschneiten Dörfer irrte, einsam und ohne Aussprache mit einem Menschen meinesgleichen.
Wo hätte ich mich unterrichten sollen über Ereignisse, die Europa erregten, das Vaterland und die Frau Apotheker? Meine liebste Erholung war es, zuzusehen, wenn der Tierarzt Marquart mit dem Feuerwehrkommandanten und dem Ratschreiber Skat spielte und das Trio in Streit geriet.
»Warum haben's allweil nit den Zehner zugeben?« brauste der Tierarzt auf.
»Weil's Aß noch nicht auf dem Tisch war, Sie Dämel Sie!«
»An Dämel habens mi g'heißen? Wart
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