Erlebnisse eines Erdenbummlers
Pflaster des Hofes zu hören vermeinte. Ein Blick auf die Uhr – wahrhaftig verschlafen! Nun aber die Beine aus dem Bett und den Fenstervorhang hoch. Aber was war denn nur das da draußen? Kein Baum, kein Strauch, keine Mauerwar zu sehen. Ein einziger eselsgrauer Teppich aus unermeßlichem Regen war vor das Trümmerfeld und den Vesuv gespannt, und was ich vorhin als Hufeisenschlag glaubte ansprechen zu dürfen, war der Überlauf einer Regenrinne, der von Zelt zu Zeit auf das Blechdach einer Garküche niederprasselte. Welch schrecklicher Gedanke! Statt der Lacrimae Christi diese graue, charakterlose Brühe. In die Tiefen meiner Seele hinein dauerte mich der arme Herr Merkte, den ich bei so bewandten Umständen zunächst noch schlafen ließ.
Als ich ihn beim Frühstück traf, machte er ein verdrießliches Gesicht und fragte mit enttäuschter Miene: »Was jetzt?«
Um ihn aufzuheitern zog ich den Viktor von Scheffel aus der Tasche, indem ich pathetisch vorzulesen begann:
»Bruder, bei dem pfiffig krummen
Apotheker von Sorrento
Ließ ich blaue Tinte mischen,
Schiffte mich durchs Meer nach Capri.«
»Hörn's auf, oder i schrei! I will nur sehn, wo's mich noch alles hinführn,« stieß er hervor und nippte unter Kopfschütteln zum wiederholten Male an einem Weinglase.
Nach einer Stunde, als der wahrhaft tropische Regenguß nachgelassen hatte, befanden wir uns auf dem Wege nach Castellammare und kehrten gegen Abend im Hotel Loreley zu Sorrento ein. Mein Schlaf war gesund und mein Erwachen hoffnungsfroh. Da das Haus auf einem senkrecht ins Meer hinunterstürzenden Felsen steht, sofielen meine Blicke vom Bett aus direkt aufs Meer hinaus. In schäumend grauen Rollen wälzte es Woge auf Woge heran und ließ sie donnernd in den Höhlen zerschellen, die es sich in jahrtausendealter Arbeit tief unter den Fundamenten des Hauses ins Gestein gegraben hat. Zuweilen schien es, als ob die Mauern bebten, und das war keine Täuschung. Die Scheiben klirrten in den Rahmen zumal, wenn der Wind durch die Schornsteine strich und in tausend Tönen klagte wie eine Hölle von Verdammten.
Ich wurde unruhig und machte mich aus den Federn heraus, um einen freieren Blick auf das Meer zu gewinnen. Ich suchte das Felseneiland von Capri, das da ja irgendwo ins Meer gestreut liegen mußte. Zu trübe war der Horizont. Ich fand es nicht. Was ich aber fand, war die Nußschale eines kleinen Dampfers, der auf den Wellen tanzend bald sichtbar war, bald verschwand und dann nichts von sich sehen ließ als eine schwarze Rauchfahne, die der Wind in Fetzen riß. »Hilf, Himmel,« dachte ich bei mir, »dies Spielzeug da wird doch nicht etwa der Dämpfling sein, der den Verkehr zwischen Neapel und Capri vermittelt? Wenn er das ist und das Meer sich nicht beruhigt, sitzen wir in sechs Wochen noch in Sorrent, denn wie wollte ich den Wasserfeind Merkle überreden, sein Leben dieser schwimmenden Pelzkappe anzuvertrauen?«
Ich schellte nach dem Zimmermädchen. Eine leicht geschürzte Hebe erschien und erklärte auf meine Frage mit süßem Lächeln: »Er ist es, der Postdampfer, aberbis er bei dem Wetter auf die Höhe von Sorrent kommt, vergeht eine Stunde und mehr noch.«
Sechzig Minuten hatte ich Zeit, meinen Reisegenossen zu bearbeiten, und ich benutzte sie in der Art, daß ich den Wein von Capri lobte, als ob seinesgleichen nicht auf der Welt zu finden sei. Und Herr Merkle ließ sich biegen. Um ihm den Anblick der Gefahr etwas zu verschleiern, stieg ich vor ihm die schmale Felsentreppe hinunter, die aus dem Gestein gehauen bis in die Brandung führt. Unten im schäumenden Gischt hielt, von einem verwegen aussehenden Kerl gesteuert, eine kleine Barke. Erst mußten wir unser Leben dem Schiffchen anvertrauen und, wenn dies nicht absackte, während der Pesce cola davonschwamm, dann erst dem Schiff. Ich gestehe, daß mir da doch das Herz unter das Zwerchfell rutschte, und daß ich umgekehrt wäre, wenn nicht eine altdeutsche Mutter mit einer neudeutschen Tochter die Treppe betreten hätte, um sich uns anzuschließen. Man hat schon etwas gewonnen, wenn man in gefährlichen Lagen ein Sprichwort findet, das der Situation gerecht wird. Also sprach ich: »Frisch gewagt ist halb gewonnen« und stieg zuerst in den Spucknapf hinein. Die andern folgten, und die Fahrt ging los. Himmel, wie sich der Wind in das lateinische Segel legte und den Mastbaum bog! Wie der Schiffer die Füße an die Spanten leimte, um das Steuer zu beherrschen! Wie das ganze Fahrzeug nicht auf dem
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