Erlebnisse eines Erdenbummlers
Niedersteigen vom Berge entdeckten wir hinter einem Kastaniengebüsch unseren Vetturino wieder. Daßer uns auf der Herfahrt übers Ohr gehauen hatte, das hatte er uns längst verziehen, und er hätte uns außer in seine Gnade auch in sein Fuhrwerk aufgenommen, wenn wir auch nur halb soviel für die Rückfahrt hätten zahlen wollen, als die Herfahrt gekostet hatte. Doch wir behalfen uns ohne ihn und fanden uns mit Hilfe unseres Reisehandbuches zu einer Osteria hin, deren feurige Tränen ich allen denen in die Adern wünsche, die kalten und betrübten Herzens sind. Dank, Vesuv, für solche Gabe!
Die Heimfahrt, die auf den nächsten Morgen festgesetzt war, verzögerte sich um sechzehn Stunden. Weil die Brücke über den Sacco noch nicht hergestellt war, mußte alles, was von Reisenden nach Rom wollte, mit Bauernfuhrwerken durch die Monti Lepini befördert werden. So kam's, daß nur eine bestimmte Anzahl von Fahrkarten ausgegeben wurde, und wer keine erwischt hatte, mußte eben warten bis zum nächsten Schnellzug. Nun, wir konnten ganz gut noch einen Tag in Neapel bummeln, genossen wir doch nachher auch das Nachtvergnügen, von Frosinone nach Piperno beim Fackelscheine unter Gendarmenbegleitung phantastisch genug befördert zu werden.
Eine Nebenbahn nahm uns in Piperno auf. Links der Fahrtrichtung schwankte das Rohr der pontinischen Sümpfe. Nochmals grüßte uns aus der Ferne die Kuppel der Peterskirche und der schneeige Gipfel des Soracte. Dann ging's in die Maremma hinein, wo der breitgehörnte Büffel grast und die Stechfliege ihmund seinen Hirten das Leben zur Hölle macht. Bei Genua erkletterte der Zug die Höhe der Ligurischen Alpen, stürzte sich in die Poebene hinunter, um wieder durch das Tal des Tessino den Gotthard zu erreichen. Wir bohren uns durch die samtweiche Finsternis des Tunnels und atmen abermals die kältere Luft des Nordens. Wenig Stunden noch, und wir sind wieder an der Bergstraße.
»Schier gar hätten's Ihr'n Gaul nimmer antroffen,« sagte der Tierarzt zu mir, als sich am Bahnhof eben unsere Wege kreuzten. »Kolik hat er g'habt, aber i hab en doch wieder auf die Beine g'bracht. E wink alt, sollt i denken, is des Vieh halt anfangs auch schon.«
Ja, ja, es ist schon wahr, alt war er, der Gaul. Aber der Gedanke, ihn verlieren zu müssen, brachte doch viel Schmerzliches über mich. Vieles hatten wir in elf Jahren zusammen erlebt, wie's eben kam, Frohes und Trauriges. Durch meinen Sinn schoß mir auf dem Heimweg der Gedanke, wie ich zu dem Tiere gekommen war. Halt, da fällt es mir doch eben ein. In Winnweiler war der Kollege Röhrig gestorben und seine Witwe hatte an mich geschrieben, daß sie nun ein Pferd vor dem Raufen stehen habe, mit dem sie nichts anzufangen wisse. Zwar sei schon ein Geschirrhändler bei ihr gewesen und hätte einen annehmbaren Preis geboten. Allein man wisse ja, wie solche Leute mit Pferden umgingen, und sie wolle doch den Arbeitsgenossen ihres Mannes selig in guten Händen sehen. Sie gönnte ihm, wie jedem, der fleißig gearbeitet habe, einen stillenLebensabend. Ich möge kommen und das Tier ansehen. Sechzehn Jahre sei es zur Stunde alt, aber noch gut auf den Knochen.
Na, wie ging's denn dann weiter? Ich besann mich. Recht so! Ich hatte meiner Frau den Brief gegeben. Warum nur? Ei, weil ich ein junger Ehemann war, und weil ich meinte, sie als eine Bauerntochter müsse alles verstehen, was irgendwie mit Stall und Fuhrwerk in Zusammenhang gebracht werden könne.
Sie las die Zeilen und sah mich fragend an mit den Worten: »Du willst doch nicht noch einen zweiten Gaul auf die Streu stellen? Du hast ja im Stalle den edlen Renner, der den Mac Mahon in der Schlacht bei Wörth auf seinem Buckel getragen haben soll.«
»Ganz recht, aber der Pferdejude hat mir damals etwas weisgemacht. Ich glaube, die Schindmähre bewegte schon auf den Jahrmärkten die Reitschulen, als der unglückliche General noch Kadett war.«
»Aber sie hat doch noch vier Beine unterm Bauch.«
»Ganz recht, und die will ich dir geben, wenn du einmal einen neuen Bügeltisch brauchst. Vorläufig ist der Holzwurm noch nicht drinnen. Etwas Wäsche und ein Bügeleisen werden die Stempel schon noch eine Weile tragen, wenn auch keinen Reiter mehr.«
»Gut, wenn's nicht anders geht, dann will ich gegen den Pferdekauf weiter nicht sein. Aber daß du nicht mehr auf den Waschbock bietest als hundert Mark! Bedenk' nur, er ist sechzehn Jahre alt!«
Mit dieser Ermahnung und anderen Verhaltungsmaßregelnwar ich nach
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