Erlebnisse eines Erdenbummlers
Fasanenkette, die neben dem Bahndamme genächtet haben mochte, flog auf und suchte mit lautem Kreischen das Weite. Das hob mich nun ganz aus dem Halbschlummer heraus, so zwar, daß ich das Verlangen spürte, zu rauchen. Mit der Zigarre im Mund verneinte ich von jetzt ab die ewige Frage des Italieners nur noch mit einem Kopfschütteln, bis ich sie, auf dem linken Rheinufer angelangt, mit einem Kopfnicken bejahen konnte.
Die nächste Nacht verbrachte ich in einem Hotel zu Interlaken. Ich schlief nicht viel besser wie in der Bahn, aber, Gott sei Dank, der Bäcker mit seinem Messer war nicht mehr in meinen Träumen. Er war abgelöst von dem Italiener mit seiner Spitzhacke. Doch der mit seinem lächelnden Munde war mir lieber wie jener mit seinen rollenden Augen. Warum sollte man nicht den Teufel mit dem Teufel austreiben, zumal wenn der kommende weniger schwarz ist als der gehende.
Am folgenden Tage stieg ich von der Aareschlucht das Haslital hinauf, um in Guttannen zu übernachten. Als ich in die geräumige Gaststube trat, war sie gegen mein Erwarten fast leer. Nur ein einziger Mensch lief im Zimmer mit großen Schritten auf und ab und dieser einzige war nicht nach meinem Geschmack. Er hatte einen roten Schnurrbart aus den Nasenlöchern heraushängenund Sommerflecken auf den Händen, »'s wird ein Berliner Feldwebel sein« so schätzte ich ihn ein, und ich hütete mich wohl, mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Wenn er mich nur ansah, so schielte ich zum Fenster hinaus ins Freie, wo der Mond durch Tannenwipfel auf die bleiche Landstraße herunterguckte.
»Ich werde den Herren das Nachtessen zusammenrichten,« rief die Wirtin aus der Küche herein.
»Ich muß für meinen Teil danken,« sagte ich, denn ich hatte derweilen aus dem Fremdenführer herausgelesen, daß eine Stunde talaufwärts bei dem Handeckfall eine gute Unterkunftsstätte zu finden sei. Ich warf also den Rucksack über die Schulter, den Lodenhut auf den Schädel und trat den Nachtmarsch an. Neben mir zur Seite donnerte schäumend die Aare in tiefer Schlucht nach dem Brienzer See hinunter. Die Tannen knackten vom Winde bewegt, und ab und zu schrie ein Rabe auf, dem der späte Wanderer ungelegen gekommen sein mochte. Alles war so ernst, so still, so wunderbar stimmungsvoll, daß ich mich in eine andere Welt versetzt glaubte und den Bäcker, den Steinhauer mitsamt dem Unteroffizier vergessen hatte.
Als ich am Handeckfall ankam, machte ich große Augen. Der Mond schien auf die Trümmer der Unterkunftshütte herunter und auf zwei oder drei elende Bretterbuden, die als Schlafstätten für Arbeiter dienten. Eine Lawine hatte im letzten Frühling das Hotel zerstört. Das war etwas, was dem Reiseführer bei seiner Drucklegung noch nicht bekannt sein konnte, mir aber elend die Launeverdarb, als ich es an Ort und Stelle erfuhr. Was war nun zu machen? Vorwärts über den Aargletscher zu kommen, war in der Nacht unmöglich. Nach Guttannen zurück, zu dem Rotbart wollte ich nicht. Ich entschloß mich also, auf einem Strohsack zu übernachten, den man mir in einer der Bretterbuden zur Verfügung stellte. Zwar war eine Tür an dem Verschlag, aber der Riegel paßte nicht in die Öse. Eine Scheibe war an der Tür, aber ihr Vorhängelchen deckte nicht die Glasfläche. Wollte ich Licht machen und mich ausziehen, so war ich denen draußen zur Schau gestellt, die im Vorraum rauchten, Karten spielten und Schnaps tranken. Ich zog mich im Dunkeln aus und legte mich auf die Pritsche, mein Geld unter das Kopfkissen und meine Seele in Gottes Vaterhände. An alles, was mich vordem gequält hatte, dachte ich nicht mehr. Nur die Gegenwart und die allernächste Zukunft beschäftigten meine Gedanken. Gut schlief ich nicht. Jede Maus, die im Bettstroh raschelte, schreckte mich auf, und ich sah Räuber in meinen Verschlag treten, die mein Geld teilten und meine Leiche nach dem Handeckfall schleppten. Doch der Tag kam heißersehnt endlich heran, und es war abermals eine Nacht vergangen, in der ich von dem Bäcker nicht geträumt hatte.
Als ich den Frühkaffee durch die Ritzen der Holzbude hindurch roch, sprang ich vom Lager und freute mich meines Lebens. Einen Schluck aus der Schnapspulle meines Rucksackes ließ ich mein Frühstück sein und ich machte, daß ich ins Freie kam. Als ich eine Zeitlanggewandert war, überkam mich der Gedanke, daß ich einmal mein Geld zählen wolle. Ich griff in meine Tasche, aber wo war da ein Geldbeutel zu finden? ›Nun hat's eins auf allen Türmen
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