Erlebnisse eines Erdenbummlers
geschlagen‹, dachte ich bei mir und rieb mir die Stirne, mich selber fragend: »Wo bist du nur um deinen Beutel gekommen?«
Ja, nun fiel es mir heiß ein. In der Bretterbude, bei den Diebsgesichtern da unten hatte ich ihn der Gesellschaft mißtrauend unter mein Kopfkissen gelegt – und – – liegen lassen.
»Das hast du gut gemacht,« mußte ich mir sagen, »wenn du den Rückweg sparen wolltest, hättest du was Geistreicheres getan als je in deinem Leben.« Gleichwohl trat ich ihn an und glaube einen Weltrekord errungen zu haben, weil schwerlich jemand jemals den gleichen Weg in kürzerer Zeit zurückgelegt haben wird. Denn zur Eile trieb mich der Gedanke, daß, wenn das Bett gemacht wäre, alles verloren sei.
Als ich mich der Bretterbude näherte, stand ein herkulisches Weib mit schnurrbärtigen Gesichtszügen unter der Tür und hielt mir in verdrossener Wortlosigkeit einen Gegenstand entgegen, in dem ich meinen Geldbeutel mit großer Freude wieder erkannte. Ich öffnete ihn vor den Augen des Mannweibes und siehe, es fehlte kein Pfennig an seinem Inhalt. Diese erfreuliche Tatsache versöhnte mich wieder mit der Menschheit, mit jenem Teile wenigstens, der nicht aus Feldwebeln bestand, und wohlgemut, ja heiter trat ich den Rückweg an, dem Aargletscher entgegen.
Inzwischen hatte sich das Wetter geändert. Nebelfetzen fielen in Waldparzellen hinein und hüllten die Baumstämme in eine graue Watte. Der Boden wurde feucht und schlüpfrig. Das Fortkommen ward beschwerlicher.
›Auf dem Gletscher wird's besser sein,‹ bildete ich mir ein und es war auch besser, denn das Eis bot den starken Nagelschuhen eine feste Unterlage. Bald aber verlor sich die braune Spur, die von früheren Wanderern getreten war.
Was nun anfangen auf einer gleichmäßigen Fläche, von der sich nichts mehr übersehen ließ, als höchstens vier Meter in der Runde. Wenn ich nach einer falschen Richtung lief, vor welchem Abgrund oder vor welcher Felsenschroffe endete dann mein Lauf?
Ich ging zurück bis zu jener Stelle, wo der Gletscher mit dünner Eiszunge sich auf die Talstraße legte. Da wartete ich, auf den glücklichen Zufall hoffend, daß vielleicht ein anderer Mensch, nach dem gleichen Ziele strebend, des Weges käme. Und richtig, aus dem Nebel heraus schälte sich ganz allerliebst die Flucht nach Ägypten nur mit dem Unterschied, daß zur Abwechslung einmal Maria führte und Josef auf dem Esel saß. Bei näherem Zusehen aber erkannte ich die Mutter Gottes als die Finderin meines Geldes und den Nährvater als den vermeintlichen Feldwebel. Nun waren mir mit einemmal alle drei Gestalten äußerst sympathisch geworden und zwar von allen Seiten, obwohl ich mich zumeist mit der Rückansicht begnügen mußte. Nach einem kurzen Gedankenaustauschhatte sich nämlich herausgestellt, daß der Reiter gleichfalls nach dem Rhonegletscher wollte und der Sicherheit halber den Esel und das Weib am Handeckfall gemietet hatte.
Nun ging es langsam bergan, immer auf Eis, wenn nicht der Esel etwas verloren hatte, worauf er keinen Wert legte. Schön ist so ein Wandern im Grauen gerade nicht, doch es dauerte auch nicht ewig. Schon sah man den Nebel von Sonnenstrahlen durchschossen, und nicht lange mehr und die Maienwand winkte mit nackten Zacken zu uns herunter. Einen Zickzackpfad sah man zwischen Moos und Steingeröll nach der Höhe steigen. Hatten wir diese erst erreicht, so mußte sich uns nach meiner Berechnung bereits der Blick ins Rhonetal hinein auftun.
Bevor ich dies Ziel erreichte, tat sich mir übrigens ein neuer Blick ins Menschliche, Allzumenschliche auf.
Kurz vor der Paßhöhe kamen wir mit unserem Esel an einem Wanderpaare vorbei. Aus der Ferne gesehen schienen sie mir Hochzeitsreisende zu sein, und ich dachte es mir gar schön, so jung vereint durch die Wunder der schönen Welt zu pilgern. Im Begriffe, beide zu überholen, merkte ich, daß sie miteinander zankten.
»Zu diesem Zwecke hätten sie nicht in die Schweiz zu reisen brauchen, das hätten sie auch zu Hause besorgen können,« sagte zu mir der Eselreiter.
»Dann hätten's aber die Leute gemerkt, daß sie nicht glücklich sind und das muß doch im Anfang der Ehe vorgetäuscht werden,« entgegnete ich.
»O Jesu,« seufzte die Alte vor ihrem Esel, »was sich Eheleute gegenseitig nicht alles antun. Wie oft hab' ich nicht schon gesehen, daß sie mit Kochgeschirr einander traktieren. Guat is schon, wann mer e' dickes Fell mitbringt in den Ehstand nein.«
Wir waren vorbei und sahen
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