Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
daran haben, dass sich eine lose organisierte, möglichst effektive, jedenfalls solidarische innerkirchliche Opposition bildet. Ich sehe dafür legitime theologische Grundlagen und kann auf all das zurückgreifen, was ich schon im Buch »Die Kirche« über die charismatische Struktur der Kirche geschrieben habe, die jegliche Ämterstruktur umgreift. In der Kirche des Ursprungs gab es nun einmal keine »Oberkirche«, gab es keine kirchliche »Obrigkeit«, keine »Hierarchie«, »Heilige Herrschaft«. In der Kirche des Ursprungs herrschte die Freiheit der Christenmenschen, mit all ihren verschiedenen Charismen und Diensten, eine grundsätzliche Gleichheit vor Gott und eine Geschwisterlichkeit untereinander.
Auf dieser vom Neuen Testament her begründeten theologischen Basis entwickle ich dann strategische Leitlinien für eine Basiskirche und mache deutlich: Christliche Basisgruppen sind nicht von vornherein gegen Autorität, aber sie erwarten, dass diese Autorität vom Evangelium selber gedeckt ist und nicht nur vom Kirchenrecht oder der traditionellen Praxis des Gemeindeestablishments. Sie sind nicht von vornherein gegen kirchliche Institutionen, aber sie erwarten, dass die Institutionen ihnen den nötigen Freiraum zur eigenen Entfaltung und Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben gewähren. Sie wollen in der Kirche bleiben, aber sie hoffen darauf, dass die Amtskirche flexibel genug ist, um sie zumindest zu tolerieren, wenn sie sie schon nicht fördern will.
Schließlich nehme ich Stellung zum Verhältnis unserer Kirche von unten zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie und -praxis . Einerseits dürfte in der Kirche von unten weithin Übereinstimmung darin bestehen, dass das Modell der lateinamerikanischen Basisgemeinden nicht problemlos in die religiöse Landschaft der hochindustrialisierten Staaten des Westens und der Bundesrepublik im Besonderen übernommen werden kann. Andererseits dürfte aber auch weithin Übereinstimmung darüber bestehen, dass gerade von den lateinamerikanischen Basisgemeinden starke Impulse ausgehen, um die »Betreuungskirche« und »Servicekirche« hinter uns zu lassen und das Christsein und Kirchesein entschiedener in die eigene Verantwortung zu nehmen.
Schließlich versäume ich auch nicht, auf die ökumenische Tragweite der Kirche von unten hinzuweisen: Gut evangelisch ist die katholische Leitvorstellung einer Basis-, Initiativ- und Gemeindekirche, in der Freiheit, Partnerschaft, Kollegialität, Solidarität, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit herrschen sollen. Eine Kirche, in der mehr überzeugt als befohlen, mehr gehandelt als gepredigt, mehr hilfreich miteinander umgegangen als bürokratisch selbstherrlich gegen andere vorgegangen wird: kurz, eine alternative christliche Praxis geübt wird. Nur zwischen Gott und Mensch, Gott und Kirche darf bildhaft von Oben und Unten als unendlicher Differenz geredet werden. Aber in der Kirche selber soll das Oben und Unten durch ein Miteinander und Füreinander ersetzt werden. Es gilt zu arbeiten für eine Kirche des Volkes, in der das Volk nicht mehr Objekt der Bevormundung, sondern Subjekt seiner eigenen Geschichte vor Gott geworden ist. 4
Über vier Stunden dauert die ganze Berliner Veranstaltung – ohne Fanatismus, ohne Aggressionen, vielmehr ein großer Konsens zwischen Publikum und Podium. Viele möchten sich engagieren, haben wieder Hoffnung geschöpft … Ich fühle mich gestärkt.
Zersplitterung der Reformkräfte
Leider wird die Einheit der »Initiative Kirche von unten« (IKvu) schon bald infrage gestellt, besonders durch die Gruppe um JOHANN BAPTIST METZ , der den gemeinsamen Brief der Initiative an den Papst anlässlich seines Deutschlandbesuchs nicht unterschreibt, sondern stattdessen eine Erklärung über die katholische Nachrichtenagentur verbreiten lässt, die viele befremdet. Gerne profiliert er sich als »politischer« Theologe durch Herabsetzung der »liberal-bürgerlichen« Theologie, mit der er vorwiegend mich meint. Auf dem Delegiertentreffen der IKvu in Mülheim am 13./14. Februar 1981 kommt es zur Auseinandersetzung, wo ich ihm dies vorhalte. Doch plädiere ich gleichzeitig dafür, die verschiedenen Positionen als unterschiedliche Sichten im gemeinsamen Bemühen um die Reform von Kirche und Gesellschaft zu betrachten. Ich gebe auch zu, dass es durchaus revolutionäre Ausnahmesituationen geben kann wie in Nicaragua, wo man sich gegen eine blutige Diktatur wie die der Somoza-Familie mit der Waffe zur Wehr setzen
Weitere Kostenlose Bücher