Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
und meine sonstigen wissenschaftlichen Publikationen.
Ab jetzt also wird Dr. Klasen aufgrund der Lektüre von »Existiert Gott?« in manchen Fragen mein Ratgeber und »Türöffner«: für die Volkswagen-Stiftung (Projekt »Frau und Christentum«) und die Bosch-Stiftung (Projekt »Kein Weltfriede ohne Religionsfriede«), wovon noch zu berichten sein wird. Schon am 15. Juni 1980 besuchen mich Dr. Klasen und seine Frau in Tübingen. Und am 17.–19. Juli desselben Jahres mache ich auf der Rückfahrt von den Salzburger Festspielen mit großartigen Aufführungen von Offenbachs »Hoffmanns Erzählungen« (mit Placido Domingo) und Mozarts »Zauberflöte« (unter der Leitung von James Levine und in der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle) in St. Moritz Station, wo Karl und Ilse Klasen ein Apartment besitzen. Auf Spaziergängen am Silser See oder bei einem Ausflug auf Muottas Muragl über Pontresina haben wir reichlich Gelegenheit, nicht nur über Gott und die Welt, sondern auch über meine Zukunftspläne zu sprechen.
Karl Klasen, lutherischer Konfession, ist gegenüber der katholischen Kirchenleitung kritisch, wie er mir schon in seinem Brief geschrieben hatte: »Die Behandlung, die Sie seitens Ihrer Kirchenoberen erfahren haben, ist uns unverständlich, weil nach unserer Auffassung in letzter Zeit kaum jemand durch literarische Arbeit so wirkungsvoll für den katholischen Glauben geworben hat wie Sie. Ihren Kampf gegen diese Kurzsichtigkeit haben wir mit großem Interesse und Anteilnahme für Sie verfolgt.« Und schon beim ersten Gespräch in Tübingen sagt mir Karl Klasen: »Lassen Sie sich ja nicht beirren, sondern gehen Sie Ihren Weg ruhig weiter. Die Geschichte wird Ihnen recht geben.« Dieser Ratschlag ist zwar nicht immer leicht zu befolgen, denn die Schwierigkeiten bleiben selbstverständlich nicht aus. Im Nachhinein aber lässt sich deutlich erkennen, dass Dr. Klasen recht hatte.
Aber Karl Klasen und seine Frau Ilse werden auch selber aktiv. Sie laden eine handverlesene Gesellschaft in ihr großes Hamburger Haus an der Alster für Samstag, 4. Juli 1981 um 12 Uhr ein, zu einem Vortrag von mir über das Thema »Die Religion in der heutigen Gesellschaft« mit anschließendem Empfang. Und anlässlich des Vortrags findet »im kleinen Kreis« von rund 30 stadtbekannten Persönlichkeiten um 20 Uhr ein festliches Abendessen (»dunkler Anzug, langes Kleid«) statt. So sitze ich denn erstmals neben dem damaligen Bundeskanzler HELMUT SCHMIDT und mir gegenüber neben Dr. Klasen der amerikanische Botschafter und frühere Chef des Federal Reserve Board, ARTHUR BURNS . Auf diese Weise bin ich nun in die Hamburger Society eingeführt.
Und so mache ich zunehmend die Erfahrung, dass der Verlust von Freunden innerhalb der römisch-katholischen Kirchenmauern bei Weitem wettgemacht wird durch Freunde »extra muros«. Allerdings helfen mir auch in der katholischen Theologie viele gewichtige Freunde.
Unterstützung durch loyale Opposition in der Kirche
Vom 27. Mai bis 1. Juni 1980 findet im holländischen Noordwijkerhout die Jahresversammlung unserer Internationalen Zeitschrift für Theologie »Concilium« statt. Am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965 war sie noch in Rom gestartet worden: aufgrund einer Initiative unseres holländischen Verlegers PAUL BRAND und von Anfang an von KARL RAHNER, EDWARD SCHILLEBEECKX, YVES CONGAR und mir (später die vier theologischen Mitglieder des Stiftungsrates) vorangetrieben. Aber sofort war sie hinter den Kulissen von der römischen Kurie, die ein »Paramagisterium« befürchtete, unter Druck gesetzt worden, sich einer bischöflichen Zensur oder einem Aufpasser des Sanctum Officium zu unterwerfen (»Nur über meine Leiche«, hatte ich erklärt). Aber wir hatten zusammengestanden und uns behaupten können (vgl. Bd. 1, Kap. VIII: Pro und contra »Concilium«).
Inzwischen hat diese Zeitschrift, die damals noch mit zehn Nummern jährlich in sieben Ausgaben (holländisch, deutsch, französisch, englisch, spanisch, portugiesisch, italienisch) erscheint, alle Schwierigkeiten überwunden. Allerdings hatten sich die auf dem Weg in die römische Hierarchie begriffenen Theologen (Joseph Ratzinger, Karl Lehmann, Walter Kasper …) einer nach dem anderen mit verschiedenen Begründungen von uns abgesetzt. HANS URS VON BALTHASAR gründet mit HENRI DE LUBAC und JOSEPH RATZINGER sogar mit »Communio« ein »Concilium« kopierendes Gegenorgan, das von der Hierarchie und der
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