Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
darf.
    Einige Monate später hält KARL - JOSEF KUSCHEL ganz in meinem Sinn ein eindringliches Plädoyer gegen falsche Flügelkämpfe in der Kirche von unten: »Keine falschen Fronten!« (»Publik-Forum« vom 21. 8. 1981). Wir bleiben dabei: Wir unterstützen die berechtigten Anliegen der Befreiungstheologie und der politischen Theologie. Aber wir klagen gleichzeitig die Christenrechte in der Kirche ein und bekennen uns zu den neuen theologischen Reformanstößen.
    Denn die Lage der katholischen Kirche ist erheblich kritischer, als dies von außen den Anschein hat. Sie hat sich seit meiner Analyse von 1972 (Bd. 2, Kap. VI: Hat die Kirche ihre Seele verloren?) eher verschlimmert als verbessert. Rom konnte jeden Reformfortschritt verhindern, sodass man weltweit die innerkirchlich drängenden Probleme vor sich herschiebt: Geburtenregelung und Ehemoral, Zölibatsfrage, Mischehe, Abendmahlsgemeinschaft, Neuordnung der Bischofs- und der Papstwahl. Die Folgen der Reformverschleppung aber sind erschreckend: Auszug Zehntausender Priester aus dem kirchlichen Dienst und katastrophaler Nachwuchsmangel; zugleich abnehmende Teilnahme am Sonntagsgottesdienst, Krise der katholischen Schulen, Zeitschriften, Verlage, Vereine; überhaupt Mangel an Inspiration und Phantasie zur konstruktiven Lösung der gegenwärtigen Probleme. Und hinter alldem ein grundlegender Mangel an konstruktiver geistlicher Führung in Rom (»spiritual leadership« – das Gegenteil von »geistlicher Diktatur«). Das Resultat ist eine betrübliche Einbuße an öffentlicher Glaubwürdigkeit.
    Johann Baptist Metz aber ist zu meinem großen Bedauern im Begriff, die Reformanliegen in der Kirche aufzugeben – zugunsten einer recht einseitigen Fixierung auf eine »Theologie des Leidens«. Seine Neue Politische Theologie, wie er sie inzwischen nennt, tritt auf der Stelle. Und seine Distanzierung von der Reformbewegung wird schließlich Jahre später auch äußerlich besiegelt durch das Kommen des Präfekten der Inquisitionsbehörde, Kardinal Ratzinger, zu Metz’ 70. Geburtstag (1998) in Münster – unter der Bedingung, dass nur von Gott und nicht von der Reform der Kirche geredet werden dürfe! Das hat dort selbst Anhänger von Metz zum Protest herausgefordert. Tatsächlich macht sich eine solche politische Theologie unglaubwürdig. Und der christliche Marxismus, der sich an Lateinamerika und Kuba orientiert, sollte mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 ein Ende finden.
    Im Jahr 1980 war mir übrigens ein Einreisevisum in die Philippinen, wo ich Vorträge zu Grundfragen des christlichen Glaubens halten sollte, versagt worden aufgrund einer Intervention des Kardinals von Manila, JAIME SIN , beziehungsweise des päpstlichen Nuntius. Wiewohl kein »politischer Theologe«, bin ich offensichtlich »politisch gefährlich« – für das römische System. Nun ist es für mich keine Frage: Die katholische Kirche ist eine multinationale Organisation, und die Auseinandersetzung um die Reform dieser Kirche entwickelt sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil weltweit. Und insofern ist es verständlich, dass in den päpstlichen Nuntiaturen (schon auf dem Konzil »Denunziaturen« genannt), die über das römische System wachen, die roten Lampen aufleuchten, wo immer ich auftauche. Man kann freilich meine Vorträge außer in raren Fällen wie eben in der philippinischen Diktatur von Präsident Ferdinand Marcos oder später in Mexiko nicht verhindern. Aber überall wissen die Bischöfe, dass ich im Vatikan nicht »persona grata« bin und sie sich im Gegensatz zur Konzilszeit meine Vorträge besser nicht anhören.
    Akzeptanz an der Basis
    Über mangelnde Akzeptanz an der katholischen, ja ökumenischen Basis hatte ich mich nie zu beklagen. Dass die Vortragssäle normalerweise voll sind, verdanke ich freilich nicht, wie kollegialer Neid bisweilen verlauten lässt, den Kontroversen mit Rom; dies erlebte ich schon als junger Doktor und Professor der Theologie vor dem Konzil. Grundlage dafür bilden vielmehr meine Theologie und die konsequente Aufnahme vieler Anliegen des Kirchenvolkes, doch ohne dies gegenüber dem Evangelium zum absoluten Kriterium zu machen. Gegen Populismus und Opportunismus in Politik, Kirche und Gesellschaft habe ich eine ausgesprochene Abneigung. Aber dem Populus Dei, dem Volk Gottes im weitesten Sinn des Wortes, fühle ich mich in meiner Arbeit verpflichtet.
    Besonders gefreut hat mich die Solidarität von Künstlern. Rund ein Dutzend Luzerner stellen 1980

Weitere Kostenlose Bücher