Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
ihre Werke im Rathaus Sursee aus. Anlässlich der Vernissage am 24. Juni überreicht mir der Maler GODI HIRSCHI , der die Aktion begründet hatte, eine Mappe ihrer Werke. Auch das Radio berichtet von ermutigenden Anlässen wie diesem: Die der Freiheit der Kunst Verpflichteten setzen sich hörbar und sichtbar für die Freiheit eines Theologen ein.
Ebenfalls im Juni 1980 wird an der Paulus-Akademie in Zürich, wo man freier ist als in den katholischen Akademien Deutschlands, eine Tagung abgehalten zum Thema »Theologie und Kirche – vom Konflikt zum Dialog«. Der katholische Luzerner Professor DIETRICH WIEDERKEHR und der evangelische Zürcher Professor HANS GEISSER ziehen Konsequenzen aus dem »Fall Küng«. Die Tagungsteilnehmer berichten in einzelnen Beiträgen, »wie sie am Fall Küng Kirche erlebt« haben. Dabei wird immer deutlicher, dass die Kirche das Monopol auf Religion verloren hat. Mein Mitbruder aus dem Collegium Germanicum, Dr. ANTON CADOTSCH , jetzt Sekretär der Schweizerischen Bischofskonferenz, bemüht sich um Vermittlung.
Meinen Publikationen haben die Verurteilungen durch das kirchliche Lehramt jedenfalls in keiner Weise geschadet, im Gegenteil. Der Piper Verlag nutzt die Gunst der Stunde und wirbt im großen Stil mit Photo: »Bilden Sie sich selbst ein Urteil: jetzt Hans Küng lesen!« In einem Kommentar zum »Rollenwandel des religiösen Buches« in der Herder-Korrespondenz liest man: »Die Kooperation zwischen dem Piper Verlag und Hans Küng macht fast schon Kirchengeschichte.« 5 Sicher ist, dass ich meine Bücher in einem katholischen Verlag, selbst im mächtigen Herder Verlag, auf keinen Fall hätte neu herausgeben können. Rechtzeitig hatte ich, wie berichtet (Bd. 2, Kap. VIII), den Verlag gewechselt. Neun Monate stand »Christ sein« auf der Bestsellerliste des »Spiegel«, 19 Wochen an zweiter oder dritter Stelle unmittelbar hinter Solschenizyns »Archipel Gulag«. Nicht erfolgreich war nur eine gekürzte Ausgabe von »Christ sein«, die gegenüber der gleichzeitig erscheinenden Taschenbuchausgabe des ungekürzten Buches keine Chance hatte. Doch wie steht es mit meinen Vorlesungen?
Neubegründung des Studium generale
Natürlich ist es etwas völlig anderes, für einen Einzelvortrag ein volles Haus zu bekommen, als an der eigenen Universität auf Dauer einen großen Hörsaal zu füllen. Und dies natürlich besonders jetzt, da ich, in keine Fakultät mehr eingebunden, keine Pflichthörer mehr habe, die bei mir Examen machen müssen. Ja, mir fehlen auch die selbstverständlichen Kommunikationsmittel einer Fakultät: Ankündigung im Vorle-sungsverzeichnis, Anschlag am Schwarzen Brett, Vorlesungskommentar der studentischen Fachschaft.
Doch es kommt zu einer Entwicklung, die an der Universität Tübingen Geschichte machen wird: Am Ende des Sommersemesters 1980 kündigen Professor WALTER JENS und ich zusammen mit Universitätspräsident ADOLF THEIS in einer Pressekonferenz die Wiederbelebung des Studium generale – Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten und ein allgemeines Publikum – im Wintersemester 1980/81 an. Walter Jens hatte unmittelbar zuvor die Berufung auf eine Lessing-Professur in seiner Vaterstadt Hamburg abgelehnt, nachdem es dort großes politisches Gerangel um diese Entscheidung gegeben hatte. In Tübingen Jubel: »Dank des hanseatischen Debakels die Chance für Tübingen: Jens und Küng schlagen Bresche: Auferstehung des Studium generale«. So die Schlagzeilen des »Schwäbischen Tagblatts« vom 23. Juli 1980, und die ganze deutsche Presse berichtet von diesen erfreulichen neuen Entwicklungen.
Doch soll ich im Wintersemester zunächst allein beginnen. Walter Jens wird erst im folgenden Semester mitmachen können, und andere Kollegen werden folgen. Meine Sorge: es könnte ja durchaus sein, dass in der ersten Vorlesung das Auditorium Maximum voll wird, schon weil manche aus Neugier den Vielgequälten sozusagen »besichtigen« oder auch »einfach einmal hören« möchten. Und es könnte sich dann die Hörerschaft wie in vielen Vorlesungen ausdünnen. Das Kalkül der Gegenseite könnte dann doch noch aufgehen und die römische Inquisitionsmaßnahme ihr Ziel erreichen, dass ich nämlich mit wenigen Hörern als »graue Universitätsmaus« mein akademisches Leben zu fristen hätte.
Solche Perspektiven lassen mich freilich nicht resignieren, wohl aber meine Kräfte anstrengen, mit meinem Team reiflich über die notwendigen Maßnahmen nachdenken und entsprechend
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