Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
einen servilen Episkopat und zunehmend totalitäre Kirchenstrukturen zu schaffen, die keinen Dissens und keine Opposition zulassen wollen. Wojtyła ist durch seine Abschaffung der von Paul VI. eingeführten einfachen Dispenspraxis vom Zölibat und durch die weltweite systematische Vertuschung der massiven sexuellen Übergriffe im Klerus verantwortlich für den katastrophalen Vertrauenszerfall der katholischen Kirche und, besonders in den fortgeschrittenen Demokratien des Westens, für den Auszug Hunderttausender aus der katholischen Kirche und der inneren Emigration von Millionen.
Der US-Präsident vereint in sich zwar nicht alle legislative, exekutive und judikative Gewalt wie der absolutistisch regierende Papst, aber er besitzt neben der höchsten exekutiven Gewalt auch ein Vetorecht gegenüber der Legislative und entscheidenden Einfluss auf die Judikative. Durch die Ernennung von 400 zumeist konservativen Bundesrichtern (»Federal Judges«), alle auf Lebenszeit, und besonders durch vier Ernennungen in den Obersten Gerichtshof (»Supreme Court«) und eines neuen Obersten Richters (»Chief Justice«) kam es in den USA seit Reagan allgemein zu einer konservativen Ausrichtung der Justiz im Straf- wie im Zivilrecht, besonders was Rassen-, Alters- und Geschlechterdiskriminierung und die Religion im öffentlichen Leben betrifft. Auch aufgrund seiner übertriebenen Deregulierung des Finanzwesens steht Reagan am Anfang des nationalen und weltpolitischen Niedergangs der Vereinigten Staaten mit seinen mutwilligen Kriegen.
Angemerkt sei zum Schluss dieses Vergleichs, dass Papst Wojtyła noch sehr viel direkter als Reagan die Wahl seines Nachfolgers beeinflusste, indem er Kardinal Ratzinger, den schon mächtigen Chef der Glaubensinquisition, auch noch zum Dekan des Kardinalskollegiums machte. Als solcher leitete dieser 2005 die Totenfeier für Johannes Paul II. (in der ersten Reihe die Familie des Kriegspräsidenten George W. Bush), aber auch die neu eingeführten streng geheimen Versammlungen der Kardinäle zur Lage der Kirche und zur Vorbereitung der Wahl und hielt zu allem noch, was viele als Wahlrede verstanden haben, zur Eröffnung des Konklave am 18. April 2005 eine berühmt-berüchtigte Predigt gegen die »Diktatur des Relativismus«. Auch in diesem Fall war die Öffentlichkeit überrascht, dass er zum Papst gewählt wurde.
Unter Freunden
Aber um ein Missverständnis meiner Kritik an Präsident und Papst zu vermeiden, sei klar gesagt, was schon in der Einleitung zu diesem Kapitel IV angedeutet wurde: Wie meine Grundeinstellung zur katholischen Kirche nicht abhängig ist von meiner Einstellung zu bestimmten Päpsten, so ist meine Grundeinstellung zu Amerika nicht abhängig von der Einstellung zu bestimmten Präsidenten. Wie immer, ich bin zutiefst dankbar für die sechs Gastsemester und für ungezählte Gastvorträge in den USA und Kanada: Sie haben mir für vieles in Weltpolitik und Weltwirtschaft und bezüglich Weltreligionen und Weltethos die Augen geöffnet.
Auch menschlich fühlte ich mich überall gut aufgehoben. An meine Gastsemester in Amerika habe ich nur angenehme Erinnerungen. Ich fühlte mich wohl, ob nun in New York oder in Chicago, in Toronto oder in Houston. Und ich darf gar nicht anfangen all das Gute aufzuzählen, das mir bei meinen längeren Amerika-Aufenthalten geschenkt wurde: Überall besaß ich ein schönes Apartment, meist mit einer kleinen Küche, in der ich mich selber verpflegen konnte. Zahlreich die guten Kontakte aller Art: Einladungen zum Essen, zu Konzerten oder zu Ausflügen. Überall wurde ich, da ich kein Auto besaß, abgeholt und wieder nach Hause gebracht. Alles wurde mir so leicht wie möglich gemacht.
Der Umgang an den amerikanischen Universitäten schien mir einfacher und natürlicher zu sein als sehr oft an deutschen. Am Union Theological Seminary in New York im Frühjahr 1968 stand ich unter besonderer Obhut des Präsidenten JOHN BENNETT . An der University of Chicago im Herbst 1981 wohnte ich im Fakultätsklub Quadrangle Club inmitten des Campus und hatte besondere Beziehungen zu meinen Freunden ANDREW GREELEY und DAVID TRACY . In Ann Arbor, an der University of Michigan, im Herbst 1983 wurde alles bestens organisiert von meinem Freund Professor DAVID NOEL FREEDMAN , zusammen mit seiner (und meiner) ausgezeichneten Sekretärin ASTRID BECK .
Und dann Kanada : An der University of Toronto im Herbst 1985 war ich umsorgt von meinen Freunden JULIA CHING und ihrem Mann WILL
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