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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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wenn man ihn heute nur noch wenig in der Hierarchie, wohl aber an der starken Basis in Amerika spürt.« Und ich werde mit den Worten zitiert: »Viele von uns fühlen sich, nicht aufgrund eigenen Wollens, als eine Art loyale Opposition in der Kirche, die ohne Illusionen, aber mit der Bereitschaft zum Dialog zu wirken versucht für mehr Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Pluralismus und Toleranz innerhalb der katholischen Kirche.« Und ich bin bewegt davon, in all den Wochen gesehen zu haben, wie viele Amerikaner mit höchst unterschiedlichem kirchlichen Hintergrund einen gemeinsamen Glauben zum Ausdruck bringen: »Die meisten Leute schauen aus nach Konstanten, nach Glaubensüberzeugungen, auf die sie sich verlassen können mitten im Fluss des Lebens.«
    Die an mich gerichteten Fragen hängen meist auch damit zusammen, dass sich am 16. Oktober 1981 zum dritten Mal die Wahl von KAROL WOJTYŁA zum Papst jährt. Da komme ich natürlich nicht darum herum, kritische Fragen zu seiner Amtsausübung zu beantworten. Das hatte ich ja schon am ersten Jahrestag getan, damals noch in der Hoffnung, dass der polnische Pontifex seinen reformfeindlichen Kurs korrigieren könnte. Er aber hatte darauf mit dem Entzug meiner kirchlichen Lehrbefugnis geantwortet. Ich kann mich jetzt in meiner anfänglichen Kritik nur bestärkt fühlen und stelle fest, dass mir heute viele zustimmen, die damals noch nicht meiner Meinung waren. Triumphale Medienereignisse eines Papstes, der seit seiner negativen Münchner Erfahrung keine Fragen und unzensierte Statements mehr zulässt – für die Gemeinden kaum positive Ergebnisse. Natürlich will ich bestimmte Erfolge dieses Pontifikats nicht in Abrede stellen. Und eines kann man nicht bestreiten: Karol Wojtyła versteht es, Menschen für sich einzunehmen.
    Professionelle Kommunikatoren: Wojtyła – Reagan
    Manche kritische Fragen an meine Adresse hingen auch damit zusammen, dass sich das politische Klima in den USA Ende 1980/Anfang 1981 merklich veränderte. Am 4. November 1980 war der rechtsorientierte frühere Filmschauspieler und Gouverneur von Kalifornien RONALD REAGAN zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Ich war am selben Tag von Stuttgart nach San Francisco geflogen und verfolgte am Abend die Wahl am Radio – zutiefst enttäuscht über die Abwahl JIMMY CARTERS , dem – trotz schlechter Wirtschaftslage und dem Debakel mit der Geiselnahme von 52 Diplomaten und Botschaftsangestellten in Teheran im November 1979 – eine glücklichere zweite Amtszeit prognostiziert war.
    Nun regiert also im Weißen Haus wie im Vatikan ein Konservativer. Vom vorausgegangenen Gespräch mit dem bedeutenden deutsch-amerikanischen Historiker FRITZ STERN (Columbia University) in Tübingen, schon bald nach der Wahl Karol Wojtyłas, früher ebenfalls Schauspieler, habe ich schon berichtet (Bd.   2, Kap. X: Verräterische Photos). Meine Frage damals: »What does the United States need – Was brauchen die Vereinigten Staaten? An actor – einen Schauspieler!« Einen Präsidenten, der wie der neu gewählte Papst KAROL WOJTYŁA eine reaktionäre Lehre und Politik mit dem Charisma des großen Kommunikators seinem Publikum verkaufen kann. »Du wärest ein großer Darsteller geworden, wenn Du beim Theater geblieben wärest«, davon berichtet Johannes Paul II. stolz selber in seinen »Erinnerungen und Gedanken« (Augsburg 2004, S. 101). Er verfügt jetzt nicht mehr nur über die »Bretter, die die Welt bedeuten« (Schiller), sondern über die Welt, die Theaterbühne für seine Darstellung ist.
    Der Anregung Fritz Sterns zu folgen, einen Artikel »What does the US need?« für die angesehene Zeitschrift »Foreign Affairs« zu schreiben, schien mir damals nicht opportun, aber meine »Prophezeiung« ging mit der Wahl Ronald Reagans in Erfüllung. Wie die katholische Kirche verfügen jetzt auch die USA über einen professionellen Kommunikator, dessen öffentliche Auftritte in den Medien peinlich genau wie ein Bühnenstück oder eine Filmsequenz vorbereitet werden, dessen Reden meist andere verfassen und dessen Macht durch die Massenmedien weltweit ausstrahlt. Wenngleich das große Publikum mit manchen Auffassungen des einen wie des anderen nicht einverstanden ist, so schätzt man doch das gewinnende Auftreten der beiden charismatischen Persönlichkeiten, die beide für relativ simple konservative Lehren einstehen: sei es ein starkes Amerika oder eine starke römisch-katholische Kirche. Der eine begründet seine

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