Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Erinnerungen, natürlich nicht nur an Personen, sondern auch an Monumente und Institutionen, Städte und Landschaften. Hier sei nur kurz berichtet, was mir von jenen ersten Erfahrungen mit dem Islam wichtig geblieben ist.
1955 – Tunesien und Algerien : damals noch Territorien des französischen Kolonialreiches. In Erinnerung bleiben mir: spielende Prinzen und Prinzessinnen in Karthago vor dem Palais des Beis von Tunis und im Bau befindliche Erweiterungsbauten mit prächtigen Deckenstuckaturen. Bis zur arabischen Eroberung im 7. Jahrhundert war Karthago ein Zentrum der Christenheit. Hier haben die Kirchenlehrer Tertullian, Cyprian und Augustin sowie die späteren Päpste Viktor, Miltiades und Gelasius gewirkt. Diese einst mächtige afrikanische Kirche ging mit der Islamisierung unter. Inzwischen ist auch die im 19. Jahrhundert initiierte christliche Islammission definitiv gescheitert, und der dafür eigens gegründete Orden der »Weißen Väter« (in der Kleidung den Muslimen angepasst) zieht seine Mitglieder zugunsten der Mission unter den Schwarzen in Westafrika aus Nordafrika ab. Zu kompliziert scheinen die christlichen Dogmen von Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes gegenüber dem klaren muslimischen Glauben an den einen Gott und seinen (letzten) Propheten Muhammad; zu wenig flexibel ist die christliche Sexual- und Familienmoral angesichts der zum Teil schon vorislamischen Sitten der Stammesgesellschaft. Als ich fast 40 Jahre später (1994) von Marokko her nach Karthago zurückkomme, ist aus dem Palast des Beis der des Staatspräsidenten geworden und aus der neogotischen Kathedrale auf dem Berg ein staatliches Museum. Bei meinem ersten Besuch 1955 zählte man knapp 300.000 Christen, 1994 noch 30.000.
1958 – Kleinasien: Biblische Studienreise zu den Wirkstätten des Apostels Paulus. Kurzer Aufenthalt in den früher ebenfalls christlichen, jetzt aber türkisch-muslimischen Städten Smyrna, Pergamon und Ephesus. Der Islam wird freilich selbst im Marienort Ephesus von uns gar nicht zur Kenntnis genommen, wiewohl doch auch der Koran, insbesondere in den Suren 19 und 3, viele schöne Verse über die Jungfrau Maria und sogar die Jungfrauengeburt Jesu enthält. Allerdings ist das 431 in Ephesus aufgrund eines Handstreichs des alexandrinischen Patriarchen Kyrill definierte Dogma, Maria sei nicht nur die Mutter Jesu Christi (griech.: Christó-tokos ), sondern auch »Gottes-Gebärerin« ( Theó-tokos ) für Muslime (wie für Juden) ein Greuel. Der Patriarch von Antiochien und erst recht Repräsentanten der Judenchristenheit, wären einige von ihnen dabei gewesen, hätten heftigen Widerspruch eingelegt gegen die Formulierungen des monophysitischen Patriarchen Kyrill von Alexandria. Standen sie doch in ihrer Hochschätzung der Person Jesu dem späteren Islam vielleicht näher als dem hellenistischen Christentum des 5. Jahrhunderts.
1962 – 65 – Zweites Vatikanisches Konzil : Kontakte mit den in muslimischen Ländern lebenden, doch mit Rom unierten Bischöfen arabischer Abstammung, den Melkiten und Maroniten. Zu Recht drängen diese auf eine der Konzilserklärung über die Juden entsprechenden Erklärung über die Muslime und erreichen sie schließlich auch (1964): Die katholische Kirche »betrachtet auch die Muslime mit Hochachtung, die den alleinigen Gott anbeten …, der zu den Menschen gesprochen hat …«, so in der »Religionenerklärung« (»Nostra aetate« Nr. 3) des Konzils. Von solcher Hochachtung sind mehr als 60 Jahre nach dem Vatikanum II auch jene evangelischen Kirchenführer in Deutschland und anderswo noch weit entfernt, die ihren Kirchen in Abwehrhaltung gegenüber dem Islam ein betont protestantisches (nicht gemeinsames christliches) Profil zu verpassen versuchen.
1963 – Erste Reise um die Welt (Bd. 1, Kap. IX): Ich erhalte einen ersten unauslöschlichen Eindruck von der großen muslimischen Kultur der Vergangenheit, besonders von der Mogul-Architektur in Indien: die Jama-Moschee und die Perlenmoschee in Delhi, der Tadsch Mahal in Agra und die noch erhaltenen Bauten Akbars des Großen (1542 – 1605) in Fatehpur Sikri, der mit einer ungewöhnlich toleranten Politik einen »Frieden für alle« anstrebte.
1967 – Beirut/Libanon : Schon berichtet habe ich über das 100-jährige Jubiläum der American University of Beirut, das mich die politische Relevanz des interreligiösen Dialogs erkennen lässt, der auch die vermittelnde Position des Libanon gegenüber Israel
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