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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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stärken könnte.
    1967 – Jerusalem : Bei meinem ersten Besuch in der Stadt der drei abrahamischen Religionen konnte ich mir (nicht zuletzt beim Übertritt am Mandelbaumtor zum palästinensischen, damals noch jordanischen Teil) von den Schwierigkeiten des Zusammenlebens von Arabern und Juden einen konkreten Eindruck verschaffen. Wenige Wochen später, am 5. Juni 1967, führte Israel den Sechstagekrieg, der zur fatalen bleibenden Besetzung auch des arabischen Teils Jerusalems, des ganzen Westjordanlands und des Gazastreifens führte. Vor allem der Traum eines Großisrael in den Grenzen des Davidischen Königreichs verhindert bis heute einen Friedensschluss, wie er im September 1978 zwischen Ägypten und dem Judenstaat aufgrund der unermüdlichen Bemühungen des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und des schließlichen Rückzugs Israels aus dem Sinai zustande kam und bis heute von Dauer ist.
    1971 – Zweite Reise um die Welt (Bd.   2, Kap. V): Mir wird immer deutlicher, dass es trotz aller Gemeinsamkeiten der muslimischen Umma nicht »den Islam« gibt und wie falsch die westlichen Vorstellungen von einem einzigen islamischen Block sind. In Taschkent , der Hauptstadt Usbekistans, bekomme ich eine lebendige Anschauung davon, dass der zentralasiatische Islam nach wie vor eine religiöse und politische Macht darstellt. Sie wird von den sowjetischen Machthabern respektiert, wenngleich wie die russisch-orthodoxe Kirche kontrolliert. Dann Afghanistan , zu 99 Prozent muslimisch, damals ein noch friedliches, aber innenpolitisch schon instabiles Land. In Kabul kann sich niemand vorstellen, dass nach zwei von Großbritannien katastrophal verlorenen Kriegen eine verblendete Sowjetführung und noch später eine ebenso verblendete US-Führung einen Krieg in diesem schwer zugänglichen, gebirgigen Land führen würde. Allerdings wird mir in einem langen Gespräch mit einem muslimischen Gelehrten auch schmerzlich klar, dass dieser, wie er sagt, auswandern müsste, falls er seine mir gegenüber geäußerte private Auffassung auch öffentlich verträte: Der Koran, Wort des ewigen Gottes, sei auch Wort des Propheten Muhammad und müsse also auch geschichtlich verstanden werden. In Indonesien schließlich lerne ich auf dieser Reise und auch später einen toleranten Islam kennen: Während sich der Islam des Nahen und Mittleren Ostens, Indiens und Nordafrikas in der Folge militärischer Eroberungen ausbreitete, verbreitete er sich in Südostasien durch Händler, Gelehrte und Mystiker friedlich.
    Alle diese frühen Erfahrungen des lebendigen Islam fließen ein und werden geklärt in meinen Dialogvorlesungen über Christentum und Weltreligionen in den 1980er-Jahren. Ich übergehe dabei nicht die unbequemen muslimischen Fragen an das Christentum:
    Der Islam ein Heilsweg? Muhammad ein Prophet?
    »Weltreligionen im Gespräch«: So werden im Jahr 1982 auf großen gelben Plakaten unsere zwölf Dialogvorlesungen angekündigt. Jede einzelne mit genauem Datum und Thema, jeweils Montag (oder Mittwoch) von 20 Uhr bis 22 Uhr. Und der Erfolg der Dialogserie ist überwältigend: stets ist der größte Vorlesungssaal der Universität voll oder übervoll, manchmal wird noch übertragen in einen zweiten Hörsaal. An die 1000 Zuhörer verfolgen mit Spannung Referat, Korreferat und Diskussion. Die ersten vier Vorlesungen sind dem Islam gewidmet. Professor JOSEF VAN ESS versteht es glänzend, an jedem der vier Abende in seiner kurz bemessenen Zeit präzis und informativ in einen der großen Fragenkomplexe einzuführen. Seine Aufgabe kommt mir leichter vor als meine. Nicht nur weil er für viele Hörer Neues über den Islam berichten kann, während ich mich mit altbekannten christlichen Lehren und Dogmen abmühen muss, sondern auch weil er unser Auditorium oft mit seiner ihm eigenen Ironie zu erheitern vermag, wo sich mir in meinen christlichen Antworten eher theologischer Ernst aufdrängt. Nachdem ich in der Vorbereitungsphase, wie abgesprochen, seine vier Exposés gelesen hatte, ist mir klar, dass es wenig sinnvoll wäre, mit theologischen Aperçus punktuell zu antworten. Ich muss vielmehr versuchen, für meine »christlichen Antworten« in großen Bögen eigene Zusammenhänge zu schaffen.
    Schon der erste Abend präsentiert mir höchst unbequeme Grundlagenfragen, welche die traditionelle christliche Dogmatik meist umgeht oder sie zweideutig und manchmal auch eindeutig negativ beantwortet. Ich hatte mir Antworten auf diese Fragen zum Teil schon

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