Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
in meinen römischen Studienjahren neu überlegt.
Die erste Grundlagenfrage: Kann auch der Islam für die Menschen ein Weg zum ewigen Heil sein? Meine Antwort ist ein eindeutiges Ja. Bis zum Konzil hat die katholische Kirche das Dogma vertreten: »Außerhalb der römisch-katholischen Kirche kein Heil.« Jetzt aber kann ich mich auf das Zweite Vatikanische Konzil berufen. Dieses gibt in der Konstitution über die Kirche Art. 16 auf diese Frage eine Antwort, die dem Ökumenischen Rat der Kirchen, in der Frage des Heils außerhalb der Christenheit bis heute uneins, meilenweit voraus ist: »Diejenigen Menschen, die das Evangelium Christi und seiner Kirche ohne ihre Schuld nicht kennen, Gott jedoch aufrichtigen Herzens suchen und seinen im Gewissensgebot erkannten Willen in Taten unter dem Wirken seiner Gnade zu erfüllen trachten, können das ewige Heil erlangen.« Und was nun besonders die Muslime betrifft, heißt es im selben Artikel 16 der Konstitution über die Kirche: »Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den Barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.«
Die zweite Grundlagenfrage, die das Vatikanum II aus Verlegenheit leider übergangen hat: War Muhammad wirklich ein Prophet? Ich antworte auf diese Frage unzweideutig mit einem Ja. Muhammad, der des Öfteren im Koran »Warner« genannt wird (Sure 17,105; 25,56; 33,45) und sich einmal selber so bezeichnet (Sure 46,9), wollte nichts als Sprachrohr Gottes sein und Gottes Wort, nicht sein eigenes, verkünden. Und auch Christen können nicht bestreiten, dass es offensichtliche Parallelen zwischen Muhammad und den Propheten Israels gibt und dass ihm Hunderte Millionen Menschen in Arabien und in aller Welt den Glauben an den einen Gott Abrahams verdanken. Ein Prophet muss ja nicht notwendig ein großer Heiliger sein; schließlich wird auch der alttestamentliche Prophet Elija mit Gewalttaten in Verbindung gebracht. Vor allem wissen viele Christen nicht, dass es dem Neuen Testament zufolge auch Propheten nach Christus gibt und sie in den paulinischen Gemeinden sogar die zweite Stelle nach den Aposteln einnehmen, nachzulesen im ersten Korintherbrief (12,28). Auch Muhammad beruft sich auf Jesus und die Propheten Israels und den einen »Gott«. Und das arabische Wort für »Gott« ist »Allah«. Auch die Millionen christlicher Araber haben für Gott kein anderes Wort als »Allah«! Damit sind freilich längst nicht alle theologischen Probleme gelöst. Besonders schwierig ist die dritte Grundlagenfrage:
Der Koran – Wort Gottes?
Können aus christlicher Sicht zumindest Muslime in der Nachfolge ihres Propheten den Koran als Wort Gottes anerkennen? Trotz aller offenkundigen Bedenken antworte ich auch auf diese Frage ebenfalls mit einem unzweideutigen Ja. Muhammad hat nach seinem Selbstverständnis seine Botschaft nicht einfach aus sich selber, es ist nicht einfach sein Wort, sondern Gottes Wort. Schon in Auseinandersetzung mit Karl Barth habe ich immer auf die universalen Perspektiven sowohl der Hebräischen Bibel (von den ersten Seiten des Buches Genesis angefangen) als auch des Neuen Testaments (besonders im Römerbrief, in der Apostelgeschichte, im Johannesprolog) hingewiesen: Es gibt »Licht«, »Offenbarung« auch außerhalb der Bibel.
Das alles heißt natürlich nicht, dass der Koran Wort für Wort inspiriert sein muss, wie man das lange Zeit fälschlicherweise auch von der Bibel angenommen hat. Müsste man nicht vielmehr – das ist ehrlicherweise meine kritische Rückfrage an die Muslime (und ich erinnere mich an das Gespräch in Afghanistan) – die Geschichtlichkeit dieser Botschaft, wie sie im 7. Jahrhundert nach Christus geoffenbart wurde, ebenso ernst nehmen wie die Geschichtlichkeit der biblischen Bücher? Müsste man sich also nicht, wie bei der Bibel geschehen, auch an eine historisch-kritische Exegese des Korans wagen?
Doch Vorsicht: die drei hier holzschnittartig formulierten Antworten werden samt Rückfragen in der Vorlesung differenziert präsentiert und für die Drucklegung überarbeitet und ergänzt, wie interessierte Leser dies in dem zwei Jahre später veröffentlichten Buch »Christentum und Weltreligionen« (1984) nachlesen können.
Und so ging es an den folgenden drei Abenden über den Islam weiter in den Exposés und den Antworten zu den Problemkomplexen Staat, Recht und Kultur
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