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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Michigan in Ann Arbor. Von da aus fliege ich direkt nach Deutschland zurück. Am 16. Dezember halte ich in dankbarer Stimmung in meinem Tübinger Haus mit den Meinen eine Weihnachtsfeier mit nicht weniger als 25 Personen.
    Diskussion über den Gottessohn: Nigeria
    Den Islam in Nordafrika, bei Arabern und Berbern, hatte ich schon kennengelernt. Aber noch einmal ganz anders zeigt sich der Islam in Schwarzafrika. Eine Einladung in die Republik Südafrika ist für mich der Anlass, eine sechswöchige Informationsreise durch das subsaharische Afrika zu planen, von der noch die Rede sein wird. Hier sei nur von einer bezeichnenden Erfahrung in Nigeria erzählt.
    Am 10. Januar 1986 war ich in Nigerias Hauptstadt Lagos eingetroffen und werde vom Schweizer Botschafter ANTON GREBER am Flughafen abgeholt. Ich hatte schon vorher gegenüber dem Direktor des Goethe-Instituts Interesse angemeldet, ein Gespräch mit Vertretern des Islam zu führen, der etwa die Hälfte der Bevölkerung des Landes ausmacht. Und tatsächlich empfängt mich am Rand von Lagos eine kleine Gruppe repräsentativer Muslime, von denen der Imam zwar der Vorbeter, aber sonst der Unwichtigste zu sein scheint. Ihr Sprecher ist vielmehr ein großer schwergewichtiger Reeder, offenbar ein reicher und daher sehr selbstbewusster Mann.
    Die Begrüßung ist freundlich, dann aber legt der Reeder los, auf Englisch. Es sei für sie als Muslime höchst schwierig, ja unmöglich zu akzeptieren, dass Gott zugleich einer und doch drei sei. Dies entwickelt er lang und breit. Es ist klar, hätte ich die traditionelle dogmatische Antwort gegeben, Gott sei nun einmal »einer in der Natur«, dies aber zugleich in »drei Personen«, hätte er dies erst recht als irrational abgewiesen. So spricht er denn und redet sich immer mehr in Eifer hinein, wie unsinnig es doch darüber hinaus sei, dass Gott einen selbst gezeugten Sohn habe, der Mensch werde.
    Ich höre ihm die ganze Zeit ruhig und freundlich zu. Nach ungefähr einer Viertelstunde schließlich unterbreche ich seinen feurigen Redefluss: Ob ich vielleicht auch etwas sagen dürfe? Er sofort ganz freundlich: »Of course, please speak!« Sofort sind alle ganz Ohr. Und dann frage ich: »Wenn ich nun als überzeugter Christ an Vater, Sohn und Geist glaube, bin ich dann für Sie einfach dumm, oder bin ich bösartig – am I stupid or malicious?« Doch sofort heftig ein freundlicher Protest: »Nein, weder das eine noch das andere.« Ich wiederum: »Wollen Sie dann vielleicht von mir hören, wie ich Jesus als Gottessohn verstehe?« Neugierig und skeptisch zugleich antworten sie: »Gewiss, lasst uns hören!«
    Und so vollzieht sich folgender Dialog, den ich einleite mit der Frage: »Die Juden sind doch auch nicht weniger Monotheisten als ihr Muslime?« – »Oh, gewiss sind sie Monotheisten.« – »Aber nun sprechen auch die Juden von einem Sohn Gottes!« – »Wirklich, wo denn?« – »Zum Beispiel im Psalm 2,7, wo in einem Thronbesteigungsritual Gott zum König von Israel spricht: ›Mein Sohn bist du; ich habe dich heute gezeugt.‹«
    Doch sofort füge ich hinzu: »Dies dürfen Sie allerdings nicht missverstehen: ›Zeugen‹ meint hier nicht eine physisch-sexuelle Zeugung wie etwa beim ägyptischen Gott-König oder bei hellenistischen Göttersöhnen. ›Zeugen‹ meint hier vielmehr ›erhöhen‹, ›inthronisieren‹, auf den Thron ›einsetzen‹ als seinen Stellvertreter.« Und genau dieser Psalmvers wird angewendet auf die Erweckung Jesu vom Tod: Eine Erhöhung Jesu, wie sie ja auch von den Muslimen gläubig angenommen wird. Und ich zitiere nun auch Psalm 110,1, wo König David, der Psalmsänger, spricht von seinem zukünftigen »Sohn«, der auch zugleich sein »Herr« ist: »Es spricht der Herr (Gott) zu meinem Herrn (dem König und Messias): Setze dich zu meiner Rechten.« Dieser hat jetzt Throngemeinschaft mit seinem Gott und Vater. »Und sehen Sie: Genau diesen Text wendet der Apostel Petrus in seiner Pfingstrede (Apostelgeschichte 2,33   –   36) an, um die Frage zu beantworten, wo denn der zum Leben Erweckte jetzt sei: Er ›sitzt zur Rechten Gottes‹ – als sein Stellvertreter, Freund, ›Sohn‹« (vgl. auch Apg 13,33).
    So fahre ich als Christ noch eine Zeit lang fort und erkläre, dass Jesus selber sich den Evangelien zufolge nie Gott genannt habe, im Gegenteil: »Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein.« (Mk 10,18) Aber Jesus hatte, und das können Muslime durchaus verstehen, eine innige

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