Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
dachte ich schon, als ich mich zu dieser Iranreise entschloss.
Aber manchmal ist das Risiko an einem bestimmten Ort eben doch etwas größer. Jedenfalls rennen wir am Abend, von Familie SCHARIFZADEH zum Abendessen eingeladen, aus unserem Auto sofort hinaus unter den betonierten Stellplatz, als der ganze Himmel von Leuchtmunition und Geknatter erfüllt ist. Im Gespräch höre ich viel Kritisches über das Innenleben der Islamischen Republik, und zwei Teenager der Familie machen mir deutlich, dass sich gegenüber der islamischen Indoktrinierung eine ähnliche emotionale Abwehrhaltung herausbilden kann wie manchmal in deutschen Landen gegenüber dem kirchlichen Religionsunterricht.
Wir fahren auch hinaus zur berühmten 33-Bogen-Brücke, die zum christlichen Armenierviertel mit seiner Erlöserkathedrale führt. Ich kann ein langes Gespräch mit dem armenischen Metropoliten führen, der mich über die Geschichte der armenischen Gemeinde in Iran unterrichtet und dessen großes Haus voll ist von Bildern und Fotos aller möglichen armenischen Heiligtümer. Es gibt ja in Armenien seit dem 3./4. Jahrhundert Christen, die sich auch nach der Eroberung Armeniens durch die Araber 641 halten können. Der armenische Metropolit erzählt mir, dass sie auch unter dem gegenwärtigen Regime in Iran keine wesentlichen Schwierigkeiten hätten, da sie nicht missionarisch tätig seien. Immerhin eine erfreuliche Nachricht über muslimische Religionsfreiheit.
Eine interessante Abrundung dieser kurzen, aber intensiven Reise in Iran bildet der Besuch von Yazd , einer traditionsreichen Handels- und Oasenstadt im inneriranischen Wüstenbecken. Mehr als die uns nun schon gut bekannten schönen Moscheen und Minarette interessiert mich hier der indisch geprägte Feuertempel der zoroastrischen Gemeinde, Anhänger des Zarathustra, der um 800 v. Chr. einen ethisch orientierten Dualismus lehrte. Auf den Hügeln der Umgebung sind die »Türme des Schweigens« zu sehen, die früher den Zoroastriern zur Luftbestattung der Verstorbenen dienten. Bei unserer Rückkehr nach Teheran aber erwartet mich eine interessante Botschaft.
Eintreten für die Bahais
Minister MOHAMMAD KHATAMI lässt mich nach meiner Rückkehr von Isfahan und Yazd wissen, er möchte mit mir im Ministerium ein Gespräch führen. Eine große Ehre, keine Frage. Auf der Fahrt dorthin in einem Wagen der deutschen Botschaft, zusammen mit Professor van Ess, ermahnt mich der Botschaftsrat, der zurzeit den abwesenden Botschafter vertritt, ich möge mich doch ja vorsichtig äußern; noch vor wenigen Tagen habe es ein Attentat auf die Limousine des Botschafters gegeben. Doch ich antworte: »Ich komme aus dem Lande Wilhelm Tells und bin gewohnt, offen und deutlich zu reden.« Worüber ich denn reden wolle? »Zum Beispiel über die Bahais, die in Iran verfolgt werden.« Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Das sei ja nun ein besonders ungeeignetes Thema. »Seien Sie ganz unbesorgt«, beruhige ich ihn, »es wird nichts passieren.«
Professor van Ess und ich werden um 11 Uhr von Minister Khatami in seinem geräumigen prächtigen Dienstzimmer höchst freundlich aufgenommen und wir berühren alle möglichen Themen. Zwei Stunden dauert das Gespräch. Erst gegen Ende frage ich, ob ich denn auch ein unbequemes Thema zur Sprache bringen dürfe. »Selbstverständlich«, ist die Antwort. Ich: »Es schadet dem Ansehen Irans und dem Ansehen des Islam außerordentlich, dass in Iran ungeachtet aller internationalen Proteste die Bahais verfolgt, gefoltert, ja hingerichtet werden.« Die Anhänger dieser humanistisch-aufklärerischen Religionsgemeinschaft mit weltweit nicht mehr als drei Millionen Anhängern befinden sich in der neuen Islamischen Republik in der Tat in einer höchst prekären Lage. Ihr Gründer BAHA ULLAH (1817 – 92), als »Herrlichkeit Gottes« verkündet, war aus Persien ausgewiesen worden und hat sein eigenes Offenbarungsbuch hinterlassen. Ein flagranter Widerspruch zum Islam, der nun einmal seinen Koran als letzte und definitive Offenbarung Gottes betrachtet. Khatami bleibt ruhig: Es gäbe bei den revolutionären Sittenwächtern auch manche junge Leute, die sich nicht ganz unter Kontrolle hätten. Ich merke: Offensichtlich gibt es in der iranischen Führung durchaus verschiedene Einschätzungen.
Doch ich insistiere: Die Anhänger der Bahai-Religion treten ein für Gleichheit und Liebe aller Menschen ohne Ansehen von Rasse, Nation, Religion und Geschlecht, für
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