Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
sozialen Fortschritt und Frieden in der Welt. Ich hätte in Haifa das »Universale Haus der Gerechtigkeit«, den Sitz des neunköpfigen Leitungsgremiums der Bahai, gesehen. Aber aus dem Faktum, dass dieses historische Hauptquartier heutzutage im Staat Israel liege, dürfe keinesfalls geschlossen werden, die Bahais seien verkappte Spione der USA oder Israels. Khatami verspricht mir, sich für die Verfolgten einzusetzen und besonders für den Vater einer persischen Bekannten von mir, der dann auch tatsächlich bald freikommt. Als wir uns verabschiedet haben, sagt mir mein Kollege im Gang: »Sie hätten auch in die Diplomatie gehen können.« Ein Kompliment für einen wie mich, der in Deutschland regelmäßig wegen allzu undiplomatischer Rede kritisiert wird.
Als Mohammad Khatami am 23. Mai 1997 zum Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt wird, verbinden sich damit große Hoffnungen auf Reform und Verständigung mit dem Westen. Im von ihm angeregten UN-Jahr des Dialogs der Kulturen (2001) leitet er in der UN-Vollversammlung mit einer programmatischen Rede eine zweitägige Diskussion über diese Thematik ein, die von der EU unterstützt, aber von den USA unter Präsident George W. Bush sabotiert wird. In der Tat will er vor allem die Beziehungen mit den USA normalisieren. Durch die Schweiz übermittelt er im Jahr 2003 eine entsprechende Offerte an die Regierung Bush. Khatami wäre sogar im Gegenzug bereit, die Unterstützung von Hamas und Hisbollah einzustellen und eine Normalisierung der Beziehungen auch zu Israel einzuleiten. Die Bush-Administration aber lehnt diese großzügige Offerte ab. Stattdessen betreibt man die Dämonisierung Irans weiter (»Achse des Bösen«) und versagt Khatami die auch innenpolitisch notwendige Unterstützung.
Statt das Palästina-Problem als das Zentralproblem für den Frieden im Nahen Osten anzusehen, versuchen nun die USA und Israel bis heute den Iran als das Hauptproblem hinzustellen. Die Folge dieser Politik ist am 3. August 2005 die Wahl des Hardliners MAHMUD AHMADINEDSCHAD zum Präsidenten der Iranischen Republik, der sich mit wüsten Drohungen gegenüber Israel populär zu machen versucht.
Dialogerfahrungen in Kanada: Toronto
Für mich höchst wertvoll, reich an neuen Kenntnissen von Personen und Universitäten und an Einsichten, sind in Zukunft die jedes vierte Semester möglich gewordenen Gastsemester in Amerika. Immer wieder bietet sich so auch die Gelegenheit, mein Verständnis von Christentum und Islam zu testen. Dies auch in Kanada. Meine Freunde, die Religionswissenschaftler JULIA CHING und ihr Mann WILLARD OXTOBY , haben sich an ihrer Universität Toronto mächtig für meine Gastprofessur eingesetzt. Am 7. September 1985 fliege ich nach Toronto, wo ich die nächsten 13 Wochen verbringen werde.
Toronto – eine schöne und im Verhältnis zu manchen Städten der USA außerordentlich saubere Stadt, in der ich mich wohlfühle. Ich wohne sehr bequem auf dem Campus, im modern eingerichteten Massey College, geleitet vom sympathischen Master PAT HUME , zusammen mit Studenten verschiedener Fachbereiche. Doch die Freundschaft mit Julia und Will, die nicht allzu weit vom Campus entfernt wohnen, ist für mich sowohl wissenschaftlich-akademisch als auch menschlich-sozial von größter Bedeutung. Helfen sie mir doch, mich in Universität und Stadt zurechtzufinden, neue Verbindungen zu knüpfen und andere Religionen besser zu verstehen. Zudem wird mir in der Person der deutsch-amerikanischen IRENE DENBOK eine hervorragende Sekretärin zur Verfügung gestellt, die sich vor allem mit der Post abzumühen und die Reisen zu organisieren hat.
Für meine Vorlesungen vor einem großen Auditorium kann ich selbstverständlich auf meine Tübinger Erfahrungen zurückgreifen, nur dass ich jetzt die zwölf Vorlesungen über »Christentum und Weltreligionen« allein zu gestalten habe. Ich habe mir meine Teile von meinem nimmermüden ausgezeichneten Übersetzer EDWARD QUINN ins Englische übersetzen lassen. Doch zugleich benütze ich die Gelegenheit, um den ganzen Stoff nochmals durchzudenken und zu ergänzen. Dies gilt besonders für die ersten vier Vorlesungen über den Islam. Im Jahr 1985 kündigt sich erst von ferne jene Islamophobie an, die mit dem 11. September 2001 in Amerika ihren Höhepunkt erreicht und ein mit dem früheren Antisemitismus, besser Antijudaismus, vergleichbares hysterisches Ausmaß annimmt.
In Toronto habe ich das Glück, mit jenem kanadischen
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