Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
Vom Netzwerk:
Erfolg gesegnet war. Natürlich bleiben für Christen nach wie vor Jesus Christus und die von ihm verkündete frohe Botschaft entscheidender Maßstab für Glauben und Handeln, definitives Wort Gottes. Aber müssten Christen, die ja dem Neuen Testament zufolge weitere Propheten kennen, diesen Muhammad nicht ernster nehmen? Müssten sie die Mahnung des Korans nicht berücksichtigen: dass der eine unvergleichliche Gott ganz und gar im Zentrum des Glaubens zu stehen hat? Dass eine Beigesellung weiterer Götter oder Göttinnen nicht infrage kommt? Dass Glaube und Leben, Orthodoxie und Orthopraxie bis in die Politik hinein zusammengehören?
    So verstanden wäre Muhammad immer wieder ein prophetisches Korrektiv für Christen im Namen des einen und gleichen Gottes. Er wäre der prophetische Warner, als der er sich selber verstanden hat: »Ich folge nur dem, was mir eingegeben wird, ich bin nichts als ein deutlicher Warner« (Sure 46,9). Die Christus-Aussagen der hellenistischen Konzilien von Nikaia bis Chalkedon brauche ich deshalb nicht zu verwerfen, aber ich sollte sie in den historischen Kontext einordnen und dabei wissen: Letztlich geht es sowohl für Muslime wie für Christen um eine Glaubensentscheidung, die aber jeder vor sich selber und anderen vernünftig zu verantworten hat. Als Christ kann ich dabei der Überzeugung sein, dass ich, wenn ich für mein Leben und Sterben diesen Jesus als den Christus gewählt habe, seinen Nachfolger Muhammad, insofern dieser sich auf ein und denselben Gott und Jesus beruft, mitgewählt habe.
    So habe ich als Christ auch noch eine klarere Basis für einen Dialog mit Muslimen: Dessen Ziel kann ja nicht die Mission im traditionellen Stil sein, weder die der Muslime durch die Christen noch heute die der Christen durch die Muslime. Wohl aber ist das Zeugnis des eigenen Glaubens unverzichtbar, das der Muslime gegenüber den Christen und das der Christen gegenüber den Muslimen. Hätte man dies alles gerade in Nigeria beachtet, hätten die sich schon früh abzeichnenden Spannungen abgebaut werden können.
    Erwachender Islam
    1986 ist die islamische Welt noch relativ ruhig. Doch ist es keine Frage, dass eine neue Zeit angebrochen ist: nicht nur mit der Gründung des ersten muslimischen Staates Pakistan, sondern auch mit der Unabhängigkeit von Ländern wie Tansania, Kenia und Mosambik. Diese schafft den notwendigen Freiraum für eine neue Entwicklung auch der Religion, sodass schließlich weit über 50 Nationen der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) angeschlossen sind. Nach allen unerfüllten Verheißungen des arabischen Nationalismus, des Panarabismus und des arabischen Sozialismus haben ab 1973 militärisch-ökonomische Erfolge – nach den arabisch-israelischen Kriegen und dem Ölembargo – und vor allem 1979 der Sieg Ajatollah Khomeinis über den Schah und die Demütigung der USA zu einem gesteigerten muslimischen Selbst- und Machtbewusstsein beigetragen.
    Als ich 1987 auf einer Reise quer durch das riesige China am 12.   April in das von Peking 2700 Kilometer entfernte Kunming komme, sind die Kollegen dort bass erstaunt, dass wir nie etwas gehört haben vom Aufstand so vieler Muslime in dieser Stadt gegen das kommunistische Regime, der mit Waffengewalt niedergeworfen worden war. In Peking aber ist pro forma eine Moschee offen, die man ohne Schwierigkeiten besuchen kann. Wie in der Sowjetunion, so geht man auch in China mit den Muslimen pfleglich um; es empfiehlt sich nicht, sie innenpolitisch zu Feinden zu machen.
    In der Folge habe ich mich um eine vertiefte Kenntnis auch des westlichen arabischen Islam bemüht, des muslimischen Spanien . So bei einer Autoreise im Juni 1986 durch al-Andalus, wie die Muslime Andalusien nennen. Hier ist Sevilla die Hauptstadt, die von 712 bis 1248 unter muslimischer Herrschaft stand, wovon noch das Minarett und der große Uhrturm (»Torre del Oro«, Goldturm), der Orangenbaumhof und der Alcázar zeugen. Dann Córdoba, lange Zeit mit seiner Omaijadenmoschee das bedeutendste Kulturzentrum des westlichen Islam, wo auch zahlreiche Schriften der Griechen ins Arabische übersetzt wurden. Und schließlich im andalusischen Bergland Granada mit dem ummauerten Schlossberg Alhambra und dem Palacio del Generalife, Meisterwerke der islamischen Architektur und Gartenbaukunst. Anlässlich eines späteren Vortrags an der Universität von Granada hatte ich das Privileg, schon früh in der Morgensonne vor der offiziellen Öffnung allein die wunderbaren

Weitere Kostenlose Bücher