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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Stätten nochmals in Ruhe besichtigen zu können. Ich kann mir vorstellen, wie zahlreiche Muslime aus Nordafrika, die jetzt als Touristen hierherkommen, die architektonischen Kunstwerke ihrer Vorfahren mit stiller Wehmut betrachten, ähnlich wie Christen in Konstantinopel/Istanbul die Hagia Sophia und Kirchen anderswo in den ursprünglich christlichen Stammlanden.
    Vom 11. bis 15.   Februar 1987 nehme ich an einem Abrahamischen Kolloquium in Córdoba teil, das vom französischen Philosophen ROGER GARAUDY organisiert wird. Die Verbindung der drei prophetischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ist durchgängiges Thema; ich referiere über »Eine wahre Religion oder viele?«. Garaudy war lange Zeit Politbüromitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs gewesen, bevor er Reformkommunist und vorübergehend Christ wurde, um am Ende einer langen spirituellen Reise zum Islam zu konvertieren. Er hatte mich am 2. Juli 1984 in Tübingen besucht, und wir wagten einen öffentlichen Dialog an der Universität, der, auf Französisch, höchst konstruktiv ablief. Schon früh hatte Garaudy einen »Dialog der Zivilisationen« gefordert, hatte zugleich die Selbstgerechtigkeit und Blindheit des christlichen Westens kritisiert und einen idealisierten Islam präsentiert. Den sterbenden westlichen Zivilisationen wird »die Verheißung des Islam« 4 verkündet. Merkwürdige Metamorphosen im Leben dieses Mannes. Diskreditiert hat sich Garaudy leider in späteren Jahren durch antisemitische Äußerungen.
    Aber ich möchte sein Anliegen einer abrahamischen Ökumene weitertragen. Schon im ersten Band meiner Trilogie, dem über das Judentum (1991), habe ich am Anfang die Bedeutung Abrahams für die drei Weltreligionen semitischen Ursprungs deutlich gemacht, um so den »Trialog« (ein philologisch problematischer Neologismus) voranzubringen. Abraham ist für alle drei prophetischen Religionen der Stammvater, der Ur-Repräsentant des Monotheismus. Er ist Archetyp der prophetischen Religionen: der glaubende Mensch »vor« Gott, der Freund Gottes. Doch setzen die drei Religionen unterschiedliche Schwerpunkte in ihrem Verständnis Abrahams:
    Für das jüdische Volk ist Abraham das Vorbild des treuen Gesetzesgehorsams, der ideale Jude. Für Christen ist er Vorbild unerschütterlicher Glaubenstreue, der Ankünder Christi. Und für die Muslime ist er das Vorbild bedingungsloser Hingabe an Gott (»Islam«), der erste Muslim.
    Doch allen Unterschieden zum Trotz haben Judentum, Christentum und Islam gemeinsam: semitischen Ursprung in der Sprache, Glaube an ein und denselben Gott Abrahams; eine nicht in kosmischen Zyklen denkende, sondern zielgerichtete Geschichtsschau; die prophetische Verkündigung, die in der Heiligen Schrift niedergelegte normative Offenbarung; das in des einen Gottes Willen begründete Grundethos einer elementaren Humanität.
    Wie man damals noch ohne Angst Vorträge über Islam und Christentum halten konnte, zeigt im folgenden Jahr 1988 eine Reise nach Algerien , wo ich am 19. November eintreffe. Ich kann mich völlig unbeschwert auf dem Campus der Universität von Algier bewegen und schließlich vor Hunderten von Studenten über Islam, Dialog der Religionen und Weltfrieden sprechen. In der Diskussion melden sich schließlich einige islambegeisterte Studenten, aber ich beantworte ihre Fragen in sachlicher Freundlichkeit und fühle mich keinen Moment bedroht. Ich treffe hier auch einen anderen bekannten Konvertiten, MURAD WILFRIED HOFMANN , dessen Übertritt zum Islam in Deutschland Aufmerksamkeit erregte, weil dieser juristisch und philosophisch gebildete Mann deutscher Botschafter in Marokko und Algerien ist. Für ihn, der mit einer Türkin, einer Frau von großer Schönheit, verheiratet ist, stellt anders als für Garaudy nicht der Sufismus, sondern der klassische sunnitische Islam eine ideale, lebendige, lebenswerte Religion dar. Islam – die zukunftsträchtige Alternative zwischen westlicher Welt und Kommunismus, ja auch die Alternative zur postindustriellen westlichen Gesellschaft. 5 Ihm verdanke ich eine kenntnisreiche und wohlwollende Besprechung meines Buches über den Islam in »The Muslim World Book Review« (28   :   2, 2008).
    Mit dem Direktor des Goethe-Instituts Algier, Herrn RATHKE , und seiner Frau fahre ich dann für drei Tage in die Sahara , in einen ziemlich steinigen Teil der Wüste, hin und zurück 670 Kilometer bis zur Oase Ghardaia, die zu ihrem Schutz vor Wind und Sand weiter unten im Tale

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