Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)
Ägypten. Dann ein öffentlicher Vortrag an der Amerikanischen Universität Kairo »Challenges to Islam, Christianity, and Judaism in Today’s Global Crises«. Am nächsten Tag ein Seminar für die Studenten. Interessant für mich ist dann vor allem ein »Interfaith Colloquium« zum Buch »Der Islam«, an welchem über 50 Professoren und Fachleute teilnahmen. Bei allen Veranstaltungen treffe ich auf großes Wohlwollen und habe keine nennenswerten Schwierigkeiten. Das Presseecho sowohl in englischer wie arabischer Sprache ist aufgrund der vielen Interviews, die ich gewähre, überwältigend.
Noch am 4. Dezember fliege ich von Kairo nach Damaskus weiter, wo das dortige Goethe-Institut und der syrische Verlag Dar al-Fikr für mich einen Vortrag im großen Saal der Al-Assad-Bibliothek organisiert haben. Mein Partner im Dialog ist der, wie man mir sagte, bedeutendste muslimische Gelehrte Syriens, Scheich RAMADAN AL-BUTI . Al-Buti wollte vor mir reden und holt ziemlich weit aus, indem er aufzeigt, wie sehr der Islam für den Frieden engagiert sei. Aber plötzlich kommt er auf Israel zu sprechen, und da wird seine Stimmung wenig friedlich. Er polemisiert mit aller Macht nicht nur gegen die israelische Politik, sondern den Staat Israel überhaupt und schreckt auch vor falschen Verdächtigungen nicht zurück. Mir ist es peinlich, neben ihm auf dem Podium zu sitzen, streng beobachtet von ungefähr 700 Zuhörern, von denen viele sogar auf den Treppen sitzen. Die Stimmung heizt sich auf, und ich überlege mir ständig, wie ich auf diese Polemik antworten soll: Gehe ich darüber hinweg, wird man mich der Feigheit anklagen, ich hätte Israel nicht zu verteidigen gewagt; gehe ich aber direkt darauf ein, ist ein Eklat unvermeidlich und die Folgen in der angespannten Situation unübersehbar. Da hilft mir meine Paradigmenanalyse: Ich kann ruhig und sachlich deutlich machen, dass die Geschichte Israels verschiedene Konstellationen aufweist, wie das Christentum und der Islam, und dass man folglich differenziert urteilen muss. Auf diese Weise ist es mir möglich, die gegenwärtige Konfliktsituation von der Geschichte her verständlich zu machen und für den Frieden zu werben, ohne unaufrichtig zu sein, und ich erhalte dafür nachhaltigen Beifall. Ich bin heilfroh, das ganze Abenteuer überstanden zu haben. Noch in derselben Nacht, am 6. Dezember um 3 Uhr, fliege ich von Damaskus nach Kairo und nach ein paar Stunden weiter über Paris nach Stuttgart.
Bei meinem kurzen Aufenthalt in Syrien konnte ich noch keine spürbaren revolutionären Bewegungen feststellen, aber vier Jahre später kommt es im Verlauf des Arabischen Frühlings auch in Syrien zum Konflikt zwischen dem herrschenden diktatorischen Regime des Alawiten Baschar al-Assad und verschiedenen Oppositionsgruppen, der dann tragischerweise zum Bürgerkrieg führt. Das Land ist 2013 in einem schon zwei Jahre dauernden Selbstzerstörungsprozess begriffen, der ausweglos zu sein scheint.
Eine sehr schöne Anerkennung erhalte ich, nicht nur für mein Buch, sondern für mein Lebenswerk im christlich-muslimischen Dialog und zwar an der Georgetown University, Washington D.C. Dort werde ich am 18. November 2008 mit dem zum ersten Mal verliehenen »Prince Alwaleed Bin Talal Award« geehrt. Mein damit verbundener Vortrag: »Challenges to Islam, Christianity and Judaism in Today’s Global Crisis«. Ich bin vor allem Professor JOHN ESPOSITO dankbar, dem Gründungsdirektor des Prince Alwaleed Bin Talal Center for Muslim-Christian Understanding. Er hätte den Preis auch selber verdient, hat er doch sein ganzes Leben dieser Aufgabe gewidmet.
Zwischen Mittelalter und Moderne: Saudi-Arabien
Nach Mekka und Medina kann ich als Nicht-Muslim leider nicht reisen. Umso wichtiger war für mich eine Einladung nach Saudi-Arabien vom 12. bis 16. Mai 1990. Sie kam auf Vermittlung des ägyptischen Professors ELSAYED ELSHAHED zustande, der mich in Tübingen verschiedentlich besucht hatte und mir eine Einladung des King Faisal Center for Research and Islamic Studies in der Hauptstadt Riad zukommen lässt. Ich werde am Flughafen Riad höchst freundlich empfangen, stelle aber zu meinem Schrecken fest, dass mein Koffer nicht mitgekommen ist. Tatsächlich folgt mir dieser immer einen Tag zu spät auf der ganzen Reise, die mich noch nach Dschidda, Amman und Jerusalem führt. Zum Glück entschließe ich mich schon in Riad, mir einen neuen Anzug und einiges mehr zuzulegen. Mein Koffer, erfreulicherweise
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