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Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition)

Titel: Erlebte Menschlichkeit: Erinnerungen (Küngs Memoiren) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Küng
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Sommersemester 1986 hatte ich eine »Theologie für den Frieden« angekündigt. Und nachdem ich schon seit Langem die Paradigmenwechsel im Christentum erarbeitet und mir auch einen Überblick über die Paradigmenwechsel im Judentum verschafft habe, wage ich mich zum ersten Mal an die schwierige Thematik der Paradigmenwechsel im Islam.
    Wie im römischen Katholizismus so herrscht auch im Islam vielfach die Überzeugung, dass hier keine wesentlichen Umbrüche stattgefunden hätten. Doch lässt ein Blick in die Geschichte des Islam seit 622 einige der Umbrüche leicht erkennen. Aber ganz einfach ist es doch nicht, die einzelnen epochalen Konstellationen des Islam nachzuzeichnen. Ich frage deshalb meinen Kollegen van Ess, ob er mir nicht kurz die hauptsächlichen Paradigmenwechsel skizzieren könne. Doch zu meinem Erstaunen sagt er mir: »Das müssen Sie schon selber machen. Ich stecke da zu sehr im Wald der Forschung, als dass ich so leicht die großen epochalen Konstellationen unterscheiden könnte.« Wenn ich mein Schema erstellt hätte, würde er es gerne überprüfen.
    So setze ich mich denn erneut hin und studiere noch genauer die Geschichte des Islam und sehe mich mit der Zeit in der Lage, ein Schema dieser epochemachenden Konstellationen aufzuzeichnen, die sich unterschwellig und oft durchaus sichtbar bis heute erhalten haben. Jedenfalls hatte mein Kollege van Ess nachher nur eine einzige, allerdings gewichtige Korrektur anzubringen: zwischen dem Propheten und den vier rechtgeleiteten Kalifen solle ich besser keinen Paradigmenwechsel postulieren; sie würden allesamt in derselben Gesamtkonstellation der Urgemeinde von Mekka und Medina operieren.
    Mir selber ging später in meinem Studium der Geschichte des Islam auf, dass nach dem Mongolensturm und mit dem Ende des Kalifats von Bagdad (1258) ein weiteres Paradigma sich abzeichnet, welches ich nach seinen beherrschenden Gruppierungen das Ulama-Sufi-Paradigma nenne. So ergeben sich denn merkwürdigerweise auch im Islam wie schon im Judentum und Christentum – ohne Spekulationen, auf rein empirischer Basis! – sechs Paradigmen : 1. das urislamische Gemeinde-Paradigma (Mekka-Medina: 622   –   661), 2. das arabische Reichs-Paradigma (der Omaijaden in Damaskus: 661   –   750), 3. das klassisch-islamische Weltreligions-Paradigma (der Abbasiden in Bagdad: 750   –   1258), 4. das Ulama-Sufi-Paradigma (13.–18. Jh.), 5. das Modernisierungs-Paradigma im 19./20. Jahrhundert und schließlich 6. das zeitgenössische (nach-moderne?) Paradigma.
    Doch es sollte nach den Bänden über das Judentum (1991) und das Christentum (1994) noch zehn Jahre dauern, bis ich den Ertrag meiner historisch-systematischen Untersuchungen gedruckt vorlegen konnte im dritten Band meiner Trilogie »Zur religiösen Situation der Zeit«: »Der Islam. Geschichte, Gegenwart, Zukunft« (2004). Auf der Frankfurter Buchmesse stelle ich am 6.   Oktober 2004 mein Buch vor, verbunden mit einem öffentlichen Dialog mit meinem Freund AHMED KAMAL ABOULMAGD , Professor der Rechtswissenschaften an der Universität Kairo. Der Arabische Pavillon ist überfüllt von meist arabischem Publikum; der Messeschwerpunkt dieses Jahres ist nämlich die arabische Welt. Vorgestellt werden wir von IBRAHIM EL MOALLEM , Präsident der Arabischen Verleger-Union. Wir stimmen in der Diskussion darin überein, dass Muslime wie Christen vor der zentralen Frage stünden, wie sie aus dem Mittelalter kommend mit der Moderne fertigwürden, dass aber beide Religionen jedenfalls in wesentlichen Aussagen des Ethos übereinstimmten. Im Jahr 2007 erscheint eine Nahost-Ausgabe meines Buches in englischer Sprache bei der American University in Cairo Press, veranlasst von dem mit mir befreundeten amerikanischen Verleger WERNER MARK LINZ, mit dem ich schon früher gut zusammengearbeitet habe. Bei dieser Gelegenheit überrascht mich Ibrahim el Moallem mit einer kleinen Sammlung auf Arabisch einiger meiner Vorträge oder Aufsätze über Islam und Weltethos: »Shared Ethical Values of Religion«.
    Anlässlich der Veröffentlichung dieses Buches organisiert der Verlag in Kairo vom 30. November bis 4. Dezember 2007 ein höchst intensives Programm für mich. Es beginnt mit einem Interview für die führende ägyptische Zeitung »Al-Ahram« und einem Empfang beim Schweizer Botschafter. In den nächsten Tagen folgt: ein Gespräch mit dem mir schon lange bekannten Religionsminister Professor MAHMOUD ZAKZOUK über die religiöse Lage in

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